märz 2012 - experimenta.de
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ich nicht hier zu Hause? Ich lebe bereits seit zwei Jahren hier, immer in <strong>de</strong>rselben Wohnung,<br />
kenne mich langsam wie ein Einheimischer aus und fin<strong>de</strong>, bis auf die vielen Touristen und<br />
chinesischen Einwan<strong>de</strong>rer, das geschäftige Gewusel <strong>de</strong>r Hongkongnesen sowie das knarrig<br />
schnarren<strong>de</strong> Kantonesisch, das klingt, als stritten die Gesprächspartner miteinan<strong>de</strong>r, ganz<br />
heimelig und auch süß. Ich will tatsächlich nicht mehr heim, wenn auch nicht wegen <strong>de</strong>r<br />
genannten, hiesigen Schönheit. Warum also befällt mich, nach<strong>de</strong>m ich Deutsch gehört habe,<br />
eine Sehnsucht nach Heimat? Nach was genau sehne ich mich da? Nach Deutschland? Nach<br />
Südba<strong>de</strong>n? Nach Frank, Erwin, Alex und Matze? Trotz herrschen<strong>de</strong>m Umtrieb versuche ich,<br />
mir das Wort Heimat auf <strong>de</strong>r Zunge zergehen zu lassen und die aufkeimen<strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>r zu<br />
erhaschen.<br />
Ich sehe <strong>de</strong>n grau-glänzen<strong>de</strong>n See mit seinem im Wind knisternd-klappern<strong>de</strong>n<br />
Schilfgras am Ufer und <strong>de</strong>n schneebe<strong>de</strong>ckten Alpengipfeln am jenseitigen En<strong>de</strong>. Ich sehe<br />
<strong>de</strong>n Übergang zur hügelig grünen Landschaft <strong>de</strong>s Hegau mit <strong>de</strong>n schroffen Vulkankegeln, auf<br />
<strong>de</strong>ssen platter Spitze ruinierte Ritterburgen thronen. Ich sehe mich heimkommen in die<br />
elterliche Wohnung, bedrückend zwar, aber doch sicher und vertraut. Der Weg zur Toilette<br />
fin<strong>de</strong>t sich mit geschlossenen Augen. Ich sehe das erste Treffen mit alten Freun<strong>de</strong>n in<br />
vertrauter Kneipe. Und dann bleiben die Bil<strong>de</strong>r aus. Ich <strong>de</strong>nke weiter an diese Eindrücke und<br />
versuche, wie<strong>de</strong>r „Heimat“ zu fühlen. Nichts. Beklemmung taucht auf. Diese hüglig-bergige<br />
Landschaft schnürt die Brust ein. Der träge Fluss durch die Heimatstadt bringt nichts Neues<br />
mit sich. Der jahrzehntelang gleiche Standort immer <strong>de</strong>rselben Möbel macht das Auge trübe<br />
und Mutters Tira<strong>de</strong> über unaufgeräumte Wäsche und nicht nachpoliertem Wasserhahn<br />
stumpfen das Ohr ab. Die Gespräche mit <strong>de</strong>n Kumpels kleben schal und ö<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r Zunge.<br />
Es dreht sich um ihre Arbeit, um ihre Kin<strong>de</strong>r, um die Sehnsucht nach frem<strong>de</strong>n Frauen. Will<br />
man einmal nicht in die Kneipe kommen, sind sie schnell beleidigt.<br />
Heimat. Schön ist sie nur von außen. Ja, als erstes fällt einem immer <strong>de</strong>r Ort ein. Meist<br />
<strong>de</strong>r Ort <strong>de</strong>r Kindheit, <strong>de</strong>s vertrauten Heranwachsens in die immer unvertrauter wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Welt<br />
<strong>de</strong>s Erwachsenseins. Zu <strong>de</strong>m Ort gesellen sich schnell auch Beziehungen: zur Familie, zu<br />
Freun<strong>de</strong>n, zu Geliebten. Das alles ist sehr schön, wenn man daran – zurück – <strong>de</strong>nkt. Es sind<br />
die Gewohnheit, die Vertrautheit, die Sicherheit, die als warmes Gefühl in einem aufwallen.<br />
Dies gilt für <strong>de</strong>n geographischen Lebensraum ebenso wie für <strong>de</strong>n familiären, sozialen,<br />
kulturellen, sprachlichen und erlebnishaften. Heimat ist Ausdruck für das Gewohnte, für das<br />
Wohnen. Die wallen<strong>de</strong> Wärme <strong>de</strong>s Heimatgefühls tritt meist erst auf, wenn man im Begriff<br />
steht, die Sicherheit <strong>de</strong>s Vertrauten und Gewohnten zu verlieren, wenn man außerhalb ihrer<br />
zum Stehen kommt. Doch das von außen und nach hinten schön-gesehene gewohnte<br />
Wohnen wird durch die Alltäglichkeit verschattet, wird durch die Aufsässigkeit <strong>de</strong>r Dinge und<br />
Menschen, die als Phänomene <strong>de</strong>r Hin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Erfüllung eigener Wünsche und Ziele im<br />
Wege stehen, verdüstert, wird durch Gewöhnlichkeit hässlich.<br />
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März <strong>2012</strong>