Restaurator im Handwerk â Ausgabe 2/2010 - Kramp & Kramp
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drucksvollster Backsteinbau ist die zwischen 1992 und 1995<br />
gebaute Kathedrale von Evry südlich von Paris. Einziger<br />
Dekor des markanten Gebäudes ist, innen und außen, der<br />
Backstein. Selbst wenn man diesen Monumentalbau nur<br />
von Fotos her kennt, ist man auf das höchste beeindruckt.<br />
Erwähnen möchte ich den in Uruguay geborenen und<br />
2000 verstorbenen Ingenieur und Architekten Eladio Dieste,<br />
der mit seinen armierten, doppelt gekrümmten Ziegelschalen<br />
den Beweis ihrer Überlegenheit gegenüber Stahlbeton<br />
erbrachte und damit den Ziegelbau revolutionierte.<br />
Mit seiner 1958 in Atlantida gebauten Kirche, mit gewellten<br />
Außenwänden und einer gewellten Decke in bewehrter<br />
Ziegelkonstruktion, fand er weltweite Anerkennung.<br />
Nennen möchte ich auch den deutschen Architekten<br />
Hans Kollhoff und den italienischen Architekten Renzo<br />
Piano, die beide u.a. am Potsdamer Platz in Berlin mit Bauten<br />
Akzente gesetzt haben. Beide setzen auf das ästhetisch<br />
Gestalterische des Backsteins. Kollhoff mit vorgefertigten<br />
Klinker-Fassadenelementen, die an der tragenden Wand<br />
verankert werden, und Piano mit innen hohlen Terrakotta-<br />
Elementen unterschiedlicher Größe, die teils den Eindruck<br />
einer gemauerten Backsteinwand erwecken. Bei solchen<br />
Backsteinanwendungen scheiden sich aber bereits wieder<br />
die Geister, und u.a. auch deshalb halte ich eine allgemein<br />
gültige Beantwortung ihrer Frage nicht für möglich.<br />
RiH: Gibt es eine Architektur, die den Ziegel am besten<br />
zur Geltung bringt?<br />
WB: Für mich kommt der Ziegel als solcher dann am<br />
besten zur Geltung, wenn er sowohl als ästhetisches wie<br />
auch als konstruktives Element eingesetzt wird, da dann<br />
seine vielfältigen Möglichkeiten voll genutzt werden können.<br />
Ich stelle mir also ein vollkeramisches Haus vor, bei<br />
dem Keller, aufgehendes Mauerwerk, Fassade, Fußböden,<br />
Decken und Dach aus Ziegelmaterial bestehen. Ob der<br />
Ziegel dann auch architektonisch am besten zur Geltung<br />
kommt, ist natürlich eine andere Sache, denn der Backstein<br />
lässt sich konstruktiv auf sehr unterschiedliche Art und<br />
Weise einsetzen: voll- oder teilverputzt, als massives Sichtmauerwerk<br />
oder reines Verblendmauerwerk, in Verbindung<br />
mit Naturstein als Zweisteinmauerwerk, mit Holz <strong>im</strong><br />
Fachwerkbau und mit Beton oder Stahl <strong>im</strong> Skelettbau als<br />
Ausfachungsmaterial. Die Ästhetik des Sichtziegels wird<br />
best<strong>im</strong>mt vom Format, von der Oberflächenstruktur, der<br />
Farbe, dem Mauerwerksverband, dem Fugenbild usw. All<br />
dies lässt einen so großen Spielraum für eine individuelle<br />
Gestaltung, so dass es mir nicht möglich ist, objektiv eine<br />
opt<strong>im</strong>ale Ziegelarchitektur zu definieren.<br />
RiH: Wie sehen Sie die Zukunft des Baustoffs Ziegel?<br />
WB: Ich verkenne nicht, dass der Ziegel keinen einfachen<br />
Stand hat. Als Mauerziegel hat er, abgesehen von der derzeitigen<br />
schlechten Baukonjunktur, mit einer Vielzahl von<br />
Alternativbaustoffen zu kämpfen, dem Dachziegel ist u.a.<br />
mit dem Sonnenkollektor auf dem Dach eine ernste Bedrohung<br />
entstanden. Ich bin aber sehr opt<strong>im</strong>istisch, dass der<br />
Ziegel auch noch in hundert und mehr Jahren in der Architektur<br />
und <strong>im</strong> Bauwesen eine bedeutende Rolle spielen wird<br />
– einfach weil seine ästhetischen und bauphysikalischen<br />
Eigenschaften und Möglichkeiten einzigartig sind. Und<br />
weil der Ziegel eine unübertroffene Kombination von Rationalität<br />
einerseits und Emotionalität andererseits darstellt.<br />
Die Fähigkeit also, zunächst gegensätzlich Erscheinendes<br />
wie „Ältestes und Neuestes“, „Tradition und Moderne“ und<br />
„Romantik und Rationalität“ in unvergleichlicher Weise in<br />
sich zu vereinigen.<br />
RiH: Welche Projekte bearbeiten Sie derzeit?<br />
WB: Für die Fachzeitschrift Ziegelindustrie International<br />
schreibe ich gerade an einer Artikelserie zu dem Thema<br />
„(Über)Leben in der Nische“. Darin berichte ich über kleine,<br />
mit einfacher, traditioneller Technik arbeitende Ziegelwerke,<br />
die sich mit speziellen Produkten eine Marktnische<br />
geschaffen haben, in der sie sich gegenüber den modernen<br />
Großwerken behaupten können. Überraschenderweise gibt<br />
es in den europäischen Industrieländern noch eine ganze<br />
Reihe solcher Ziegeleien. Mein erster Beitrag handelt von<br />
einer Ziegelei <strong>im</strong> Elsass, die noch echte handgestrichene<br />
Biberschwanzziegel herstellt, wie sie für die Dachsanierung<br />
historischer Gebäude eingesetzt werden, z.B. <strong>im</strong> Schloß<br />
Sanssouci in Potsdam oder <strong>im</strong> Kloster Maulbronn. Der<br />
nächste Beitrag beschreibt eine Ziegelei in Belgien, die<br />
ausschließlich echte Vollsteine herstellt, also ohne jegliche<br />
Löcher, was heute sehr ungewöhnlich ist. Schließlich gibt<br />
es einen Bericht über eine Dachziegelei am Niederrhein,<br />
die in historischen Kammeröfen grau-gedämpfte Dachziegel<br />
brennt, die vorzugsweise in den Denkmalschutz gehen.<br />
Mit dem Dämpfen wollte man ja ursprünglich die Farbe<br />
des Schiefers nachahmen, der <strong>im</strong> Barock ein bevorzugtes<br />
Dachdeckungsmaterial war. Schiefer war aber außerhalb<br />
der Gebiete mit Schiefervorkommen sehr teuer. Der gedämpfte,<br />
silberglänzende Dachziegel, ursprünglich als billiger<br />
Ersatz für den Schiefer gedacht, entwickelte sich aber<br />
bald zu einem begehrten Produkt mit eigener Note. Weitere<br />
Berichte werden folgen.<br />
Mein in zwei Auflagen erschienenes „Lexikon der Ziegel“<br />
enthält rund 2000 Ziegelnamen, ist aber vergriffen. Inzwischen<br />
habe ich bereits wieder über 250 weitere Ziegelnamen<br />
gesammelt. Eine Neuauflage wäre also wünschenswert, ist<br />
aber sehr unwahrscheinlich. Meine „Geschichte der Ziegelherstellung“,<br />
kurz „Ziegelgott“ genannt, soll auch in einer<br />
englischen <strong>Ausgabe</strong> erscheinen Die Übersetzung steht,<br />
wozu ich allein zwei Jahre mit dem Korrekturlesen beschäftigt<br />
war, jetzt gilt es nur noch die Druckkosten aufzubringen,<br />
was nicht ganz einfach ist.<br />
Darüberhinaus hoffe ich, noch möglichst lange über viele<br />
interessante Ziegelthemen schreiben zu können.<br />
RiH: Das wünschen wir Ihnen und bedanken uns für das<br />
Gespräch.<br />
Das Interview führte R.W. Leonhardt.<br />
Rainer Leonhardt<br />
(links) und Willi<br />
Bender (rechts) auf<br />
Ziegelexkursion in<br />
Rom, Frühjahr 2002,<br />
(Foto: Renate Schulz)<br />
<strong>Restaurator</strong> <strong>im</strong> <strong>Handwerk</strong> – <strong>Ausgabe</strong> 2/<strong>2010</strong><br />
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