Rosemarie Daumüller - Diakonisches Werk der EKD
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Grußwort<br />
Heinz Gerstlauer: Grußwort<br />
Sie kommen mit Ihrem Thema und mit Ihrem Focus auf<br />
die verarmten Haushalte gerade recht in einer Zeit, in<br />
<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> einmal offen darüber nachgedacht wird,<br />
welchen Platz wir armen Menschen anbieten können in<br />
unserer Gesellschaft. Offenbar sollen und müssen wir<br />
uns entscheiden, wer wir sind: Kunde o<strong>der</strong> Bürger. Der<br />
eine sieht arme Menschen offenbar als Bremse seiner<br />
Kauflust, als störendes Element seiner Reise durch die<br />
Erlebniswelt Bahnhof o<strong>der</strong> Innenstadt.<br />
Der an<strong>der</strong>e sieht arme Menschen als Teil seiner Welt,<br />
seiner Nachbarschaft, seiner Kommune, seiner Gemeinde,<br />
seines Wohnquartiers und fragt sich, wie er Not<br />
lin<strong>der</strong>n, Selbsthilfe stärken, Verhältnisse än<strong>der</strong>n und<br />
Menschen bei Wegen aus ihrer Armut unterstützen<br />
kann.<br />
Kunde o<strong>der</strong> Bürger – wir sind beides. Wir sollten es<br />
nicht zulassen, dass wir in Marketingstrategien auf<br />
die Rolle des Kunden reduziert werden, die nur eines<br />
wollen: ungestört kaufen, kaufen, kaufen.<br />
Dass diese Tagung und das dahinter stehende Projekt,<br />
<strong>der</strong> jüngst erschienene Sozialbericht <strong>der</strong> Stadt Stuttgart<br />
und die daraus folgenden Aktivitäten das Thema Armut<br />
offensiv angeht, und auf die Tagesordnung setzt und<br />
fragt, in welcher Weise betroffenen Menschen – in <strong>der</strong><br />
Regel Frauen und ihren Kin<strong>der</strong>n – adäquat geholfen<br />
werden kann, ist höchst nötig und höchst löblich.<br />
Sie werden im Laufe des heutigen Tages die Ergebnisse<br />
dieses Armutsberichts präsentiert bekommen. Viele<br />
Ergebnisse sind uns bekannt, an<strong>der</strong>e sind uns neu bewusst<br />
geworden.<br />
• Viele Menschen haben sich offenbar einen Ruck<br />
gegeben und sind aufgebrochen aus dem Heer <strong>der</strong><br />
abhängig Beschäftigten, haben Unternehmen gegründet,<br />
sind in die Selbständigkeit gegangen. Einigen<br />
ist <strong>der</strong> Weg geglückt. Aber wir sehen daneben<br />
die vielen an<strong>der</strong>en Selbständigen, die mittlerweile in<br />
prekären Verhältnissen, um nicht zu sagen in Armut<br />
leben.<br />
• Viele Haushalte sind überschuldet. Schon das alltägliche<br />
Leben in Stuttgart ist im Vergleich zu an<strong>der</strong>en<br />
Kommunen teuer. Wer Schulden hat lebt auf Kosten<br />
seiner eigenen Zukunft und <strong>der</strong> seiner Kin<strong>der</strong>. Die<br />
Einführung eines privaten Insolvenzrechtes ist eine<br />
angemessene Reaktion auf diese Tatsache. Das<br />
Angebot einer qualifizierten Schuldnerberatung ist<br />
nötig, <strong>der</strong>en Ausbau und innovative Weiterentwicklung<br />
allerdings auch, denn wer Schulden hat, kann<br />
nicht ein Jahr warten, bis er in <strong>der</strong> Beratung dran<br />
kommt.<br />
• Menschen mit einer positiven Lebenseinstellung,<br />
mit einem spirituellen Fundament meistern Lebenskrisen<br />
besser als die an<strong>der</strong>n, weil sie gegen alle<br />
Erfahrungen <strong>der</strong> Ausgrenzung, <strong>der</strong> Abwertung, des<br />
Kämpfen müssens noch eine an<strong>der</strong>e Erfahrung<br />
haben: Das Wissen und das Gefühl trotz aller Wi<strong>der</strong>spenstigkeiten<br />
ein von Gott geliebter Mensch zu<br />
sein. Das heißt: Wert geschätzt, willkommen zu sein.<br />
Das motiviert Selbstheilungskräfte und gibt Mut,<br />
sein Leben in die Hand zu nehmen und eigene Schritte<br />
zu tun. Religion nicht als Opium, son<strong>der</strong>n als<br />
Motor <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung. Das sollten gerade wir in <strong>der</strong><br />
Diakonie uns immer wie<strong>der</strong> selbst vor Augen halten,<br />
wenn wir unsere Konzepte schreiben, Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter fortbilden, Angebote machen.<br />
Das Projekt und dieser Fachtag schließen im Reigen <strong>der</strong><br />
Hilfeangebote eine Lücke. Es hilft dort, wo Armut nicht<br />
mehr versteckt werden kann, son<strong>der</strong>n gemanagt, gelebt,<br />
erlitten, durchkämpft und zwischen Ansprüchen und<br />
Begrenztheiten überwunden werden muss: im Haushalt,<br />
in den eigenen vier Wänden, in <strong>der</strong> Familie.<br />
Der Erwerb von Haushaltsführungskompetenzen, die<br />
früher in den Frauenarbeitsschulen fester Bestandteil<br />
vor allem weiblicher Sozialisation und unterrichtlicher<br />
Bemühungen gewesen sind, wird mit diesem Projekt<br />
neu angeboten und im Sinne einer Kompetenz, und<br />
Chancenerweiterung ermöglicht. Spielräume zu gewinnen,<br />
Herr bzw. Frau <strong>der</strong> Dinge zu werden und zu<br />
sein schafft nicht nur eine an<strong>der</strong>e materielle Basis, son<strong>der</strong>n<br />
auch ein an<strong>der</strong>es Bewusstsein und die Freiheit,<br />
sich nicht nur um das Geld kümmern zu müssen, son<strong>der</strong>n<br />
sich Freundschaften, <strong>der</strong> Schule, den Kin<strong>der</strong>n,<br />
sich selbst zuwenden zu können.<br />
03/2002 Diakonie Dokumentation 9