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Rosemarie Daumüller - Diakonisches Werk der EKD

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Armut in Stuttgart<br />

Ich kann in diesem Rahmen heute nicht weiter auf<br />

Einzelergebnisse zu den verschiedenen Zielgruppen<br />

sozialer Planung bzw. Empfängergruppen eingehen,<br />

Ihnen jedoch die eher überraschenden Befunde nennen:<br />

1. Dort, wo bestimmte Gruppen wohnen, ist nicht<br />

unbedingt gleichzeitig auch von einem erhöhten<br />

Anteil <strong>der</strong> Sozialhilfeempfänger zu sprechen.<br />

2. So wohnen Kin<strong>der</strong> und Jugendliche vor allem in den<br />

so genannten randlichen Lagen. Die Stadtviertel mit<br />

deutlich überdurchschnittlichem Anteil an Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen, die Sozialhilfe beziehen, befinden<br />

sich eher in den Tallagen <strong>der</strong> Innenstadtbezirke,<br />

in den Neckarvororten, in Bad Cannstatt sowie in<br />

den Wohngebieten mit sozialem Wohnungsbau.<br />

3. Die allein Erziehenden insgesamt wohnen eher in<br />

Innenstadtlagen (über 40 Prozent) und in Bad Cannstatt;<br />

dasselbe gilt für die Sozialhilfeempfänger.<br />

4. Über die Hälfte <strong>der</strong> Einwohner Stuttgarts mit ausländischem<br />

Pass wohnt in den Stadtbezirken Bad<br />

Cannstatt, Ost, Süd, West und Zuffenhausen, dieselben<br />

Stadtbezirke haben wie<strong>der</strong>um die höchste<br />

Anzahl an Sozialhilfeempfängern. Ein weiterer<br />

wichtiger Befund ist hier: Da, wo viele Auslän<strong>der</strong><br />

leben, leben viele arme Deutsche.<br />

Probleme und Ressourcen<br />

Von <strong>der</strong> räumlichen Analyse kommen wir nun zu einer<br />

kurzen Darstellung <strong>der</strong> Lebenslagen, Probleme und<br />

Ressourcen von Menschen in Armut. Wie bereits von<br />

meinen Vorrednern erläutert, wirkt sich materielle<br />

Armut auf verschiedene Lebensbereiche aus und zwar<br />

defizitär. Wir haben dies auch in unserer qualitativen<br />

Analyse, den Interviews mit von Armut Betroffenen<br />

und den Expertinnen in den verschiedenen Stadtteilen<br />

bestätigt gefunden. Die Gesundheit, die Wohnqualität,<br />

die Konsum- und die Ernährungsgewohnheiten unterschieden<br />

sich eindeutig von Personen, die über ein<br />

gesichertes, ausreichendes Einkommen verfügen. An<br />

dieser Stelle möchte ich diese Aspekte nicht weiter<br />

ausführen, jedoch noch einige wenige Worte zum Thema<br />

„Ressourcen und Bewältigungsstrategien” von<br />

Menschen in Armut verlieren. Tatsache ist, dass – je<br />

nach individueller Disposition und je nach Lebensphase<br />

– die Menschen verschieden mit <strong>der</strong> materiell<br />

schwierigen Lebensphase umgehen. Von größter<br />

Bedeutung erweist sich hierbei vor allem die Dauer.<br />

Bei lang anhalten<strong>der</strong> Hilfebedürftigkeit versiegen<br />

auch stärkste individuelle Ressourcen. Als Grenze<br />

wurde in vielen Gesprächen ein individuell unterschiedlicher<br />

Zeitraum von zwei bis drei Jahren<br />

genannt. Ist danach keine Än<strong>der</strong>ung in Sicht, also z. B.<br />

kein neuer Arbeitsplatz gefunden, resignieren auch<br />

starke und optimistische Personen. Sie ergeben sich<br />

in ihr Schicksal und versuchen nicht mehr, sich aus<br />

eigener Kraft zu befreien.<br />

Danach beginnt häufig ein Anpassungsprozess, <strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> Glücksforschung schon länger beobachtet wird:<br />

Fast niemand bezeichnet sich über einen längeren<br />

Zeitraum hinweg als „vollkommen unglücklich”.<br />

Menschen scheinen sich mit ihren Verhältnissen<br />

arrangieren zu wollen und auch zu können. Die Ressource<br />

Anpassungsfähigkeit hilft nun zwar dabei,<br />

überleben zu können, setzt aber keine Selbsthilfekräfte<br />

in dem Sinne frei, dass die betroffene Person<br />

sich aus eigener Kraft aus ihrer Situation noch befreien<br />

wollte und könnte.<br />

In kürzeren Armutsperioden greifen dagegen viele verschiedene<br />

Ressourcen, die dabei helfen, eine Armutsphase<br />

zu überwinden. Folgende Kraftquellen wurden<br />

von Betroffenen und Experten genannt: „innere Ruhe”,<br />

ein guter Schlaf, Religiosität, eine intakte Familie, eine<br />

glückliche Kindheit, die Kin<strong>der</strong>, gute Freunde und<br />

Nachbarn, eine hohe innere Befriedigung durch betimmte<br />

Aktivitäten und aus eigenem Antrieb intensiv<br />

betriebene Hobbys, Haustiere. Aber selbst solche eher<br />

persönlichen und persönlichkeitsbedingten Ressourcen<br />

bedürfen, wie viele Betroffene meinten, einer kontinuierlichen<br />

Stützung „von außen”, durch Beratung,<br />

finanzielle Zuschüsse und die Bereitstellung von entsprechen<strong>der</strong><br />

Infrastruktur.<br />

Weitere Ressourcen, die häufig genannt wurden, erfor<strong>der</strong>n<br />

von vornherein Interventionen von an<strong>der</strong>er Seite:<br />

eine gute Wohnung, in <strong>der</strong> die Betroffenen sich wohl<br />

fühlen, ein ästhetisch ansprechendes Haus und ein alle<br />

Sinne anregendes Wohnungsumfeld, Nähe/Bezug zur<br />

Natur (Mietergärtchen, Balkonpflanzen, natürliche<br />

Freiflächen, Tiere), ein soziales Umfeld, das eine gute<br />

Mischung aus Menschen in ähnlich schwierigen<br />

Lebensumständen, aber auch Menschen in besseren<br />

Verhältnissen bietet, eine Infrastruktur, die vielen verschiedenen<br />

Bedürfnissen gerade von Menschen in<br />

Armut gerecht wird. Solche Bedingungen werden als<br />

Quellen von Freude und Kräften erfahren, die dabei<br />

helfen, den schwierigen Alltag zu meistern und den<br />

Blick in die Zukunft zu richten. Als wichtigste Ressource<br />

wird aber die Arbeit betrachtet. Oft wird erzählt,<br />

20 Diakonie Dokumentation 03/2002

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