Rosemarie Daumüller - Diakonisches Werk der EKD
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Anhang<br />
sind, obwohl es auch das gibt in unserem Land. Der<br />
Begriff <strong>der</strong> relativen Armut 5 bezeichnet vielmehr die<br />
Abweichung von dem, was in unserer Gesellschaft als<br />
normal gilt, was Standard ist und zielt damit auf den<br />
Grad <strong>der</strong> gesellschaftlichen Teilhabe. In jüngster Zeit<br />
hat sich, wenn auch nicht unumstritten, die Grenze von<br />
50 Prozent des durchschnittlichen Einkommens als<br />
definierte Armutsgrenze durchgesetzt. Haushalte, die<br />
über weniger als 50 Prozent des durchschnittlichen<br />
Einkommens verfügen gelten demnach als arm.<br />
Es fehlt nicht nur am Geld<br />
Eine Armutsdefinition muss mehrdimensional ausfallen,<br />
denn eine rein auf das Einkommen bezogene Definition<br />
geht an <strong>der</strong> Lebenswelt von Familien, vor<br />
allem <strong>der</strong> darin lebenden Kin<strong>der</strong>, vorbei. Nicht nur die<br />
materielle Lage <strong>der</strong> Familie ist in den Blick zu nehmen,<br />
son<strong>der</strong>n auch und vor allem die Lebenssituation und<br />
Lebenslage <strong>der</strong> Haushaltsmitglie<strong>der</strong>. Dazu gehören<br />
Wohnen und Wohnumfeld, Ernährung, Bildung,<br />
Arbeit, Freizeit, Gesundheit und <strong>der</strong> Zugang zu Versorgungs-<br />
und Unterstützungsstrukturen.<br />
Ein Leben an <strong>der</strong> Armutsgrenze beeinflusst die oben<br />
genannten Bereiche des Lebens und damit die Lebenssituation<br />
<strong>der</strong> Betroffenen. Armut bedeutet nicht nur<br />
Unterversorgung in den wesentlichen Lebensbereichen,<br />
son<strong>der</strong>n auch Ausgrenzung und mangelnde Teilhabe<br />
am gesellschaftlichen Leben 6 . Was dies für das<br />
Aufwachsen <strong>der</strong> von Armut betroffenen Kin<strong>der</strong> bedeutet<br />
und welche Risiken für die Entwicklungs-, Bildungs-<br />
und Erziehungschancen von Kin<strong>der</strong>n damit verbunden<br />
sind, beschreibt unter an<strong>der</strong>em auch <strong>der</strong> 10.<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendbericht <strong>der</strong> Bundesregierung von<br />
1998 7 . Neben dem Verzicht auf Materielles wie neue<br />
Kleidung, ein eigenes Zimmer, auf Spiele, Ausflüge,<br />
Taschengeld müssen diese Kin<strong>der</strong> oft auf Selbstverständliches<br />
wie Klassenfahrten o<strong>der</strong> die Mitgliedschaft<br />
in einem Sportverein verzichten. Dazu kommt häufig<br />
ein Mangel an Sozialerfahrungen, Lernmöglichkeiten<br />
und Entwicklungsanregungen. So sind bei Kin<strong>der</strong>n aus<br />
armen Familien verstärkt gesundheitliche Beeinträchtigungen<br />
festzustellen. Aggressionen, De-pressionen<br />
und Ängste treten verstärkt auf, gleichzeitig erhöht sich<br />
das Risiko einer problematischen Sozialentwicklung.<br />
Durch geringere Bildung, schlechtere Schulleistungen<br />
und einem allgemein geringer ausgeprägten Selbstwertgefühl<br />
wird die Fortsetzung <strong>der</strong> Notlage durch eine<br />
Tradierung <strong>der</strong> Armut begünstigt.<br />
Obwohl das Einkommen die zentrale Dimension <strong>der</strong><br />
Armut darstellt ist eine Verbesserung defizitärer<br />
Lebenslagen aber nicht allein mit <strong>der</strong> Erhöhung von<br />
Einkommen o<strong>der</strong> Transferleistungen zu erreichen.<br />
Ansatzpunkte für Armutsbekämpfung<br />
Dem Ansatz, Armut und defizitären Lebenslagen über<br />
die Stärkung von Haushalts- und Familienkompetenzen<br />
zu begegnen, wird auch mit Fragen und Skepsis<br />
begegnet. So wird gefragt, ob sich ein gesellschaftliches<br />
Problem, welches Armut in unserem Land darstellt,<br />
denn individuell-pädagogisch bearbeiten lässt?<br />
Ob damit nicht die politischen For<strong>der</strong>ungen einer<br />
Armutsbekämpfung durch Umverteilung von Finanzströmen,<br />
durch eine wirksamere Arbeitsmarktpolitik<br />
o<strong>der</strong> die notwendige Erhöhung von sozialstaatlichen<br />
Transfers unzulässig entschärft werden? Ob damit die<br />
Betroffenen, wegen des scheinbar immanenten Vorwurfes<br />
ihrer mangeln<strong>der</strong> Fähigkeiten, ein weiteres Mal<br />
zum Opfer werden?<br />
Wer jedoch die Ursachen und vielfältigen Auswirkungen<br />
von Verarmung betrachtet und ernsthaft nach wirksamen<br />
Konzepten zur Armutsbekämpfung sucht, kann die<br />
Frage nach <strong>der</strong> richtigen Vorgehensweise bei <strong>der</strong> Prävention<br />
und Bekämpfung von Armut nur mit einem Sowohl-als-auch<br />
beantworten und muss dem Ursachenbündel<br />
ein Maßnahmenbündel entgegenstellen. Mindestens<br />
drei Bereiche sind zu benennen, bei denen Armutsprävention<br />
und -bekämpfung und damit verbunden, die<br />
Verbesserung von Lebensqualität ansetzen muss. 8<br />
• Finanzen: Zur materiellen Absicherung des soziokulturellen<br />
Existenzminimums müssen die Bemühungen<br />
(sozialpolitisch wie individuell) auf eine<br />
Einkommenserzielung o<strong>der</strong> -verbesserung gerichtet<br />
sein. Dazu gehört auch die bedarfsgerechte Ausgestaltung<br />
von Transferleistungen. Geld stellt die<br />
zentrale Dimension <strong>der</strong> Armut dar, die auf alle übrigen<br />
Bereiche ausstrahlt.<br />
• Infrastruktur: Ein weiterer Ressourcenstrang ist die<br />
„Soziale Infrastruktur” <strong>der</strong> Lebenswelt von Familien<br />
o<strong>der</strong> Einzelnen. Dazu gehören die Rahmenbedingungen<br />
des Wohngebietes bzw. des Stadtteiles, alle<br />
Einrichtungen und Angebote zur Begleitung, Unterstützung<br />
und Entlastung von Familien, zum Beispiel<br />
Tagesbetreuung für Kin<strong>der</strong>, Bildungs- und Freizeitangebote,<br />
Beratungsdienste u.a.m.<br />
36 Diakonie Dokumentation 03/2002