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S 23<br />
<strong>Christus</strong> <strong>Elf</strong> <strong>Visionen</strong><br />
Der Müde oben tritt tastend ein.<br />
Die Kirche ist schwarz, und das Dunkel ist klein<br />
und wird erst langsam den Blicken weit.<br />
Der Einsame bringt die Ewigkeit<br />
mit in die Mauern und breitet sie aus<br />
mit segnenden Händen -<br />
Da durchweht von den Wänden<br />
lebendige Wärme das Haus.<br />
Und jetzt erst erkennt er: die Kirche log.<br />
Wo der Altar war, da ist neu<br />
eine Krippe gezimmert: Scheu<br />
umdrängen drei Kühe den Trog,<br />
und heufeucht duftet die Streu.<br />
Und die Ewigkeit, die er ausgespannt,<br />
reicht nicht einmal von Wand zu Wand,<br />
wird eine ängstliche Ewigkeit:<br />
denn das Land ist breit.<br />
Und der Bleiche bleibt einsam an seinem Rand,<br />
bleibt knien.<br />
Und es weht wie aus einer Wiege warm<br />
um ihn.<br />
Und er ist wie ein König aus Morgenland -<br />
nur ganz arm.<br />
Rainer Maria Rilke<br />
<strong>Christus</strong> <strong>Elf</strong> <strong>Visionen</strong> (Zoppot, Juli 1898)<br />
{Eine der drei Versionen der Zweiten Folge}<br />
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