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Christus, Elf Visionen.

Rainer Maria Rilke, Christus Elf Visionen

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S 7<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Elf</strong> <strong>Visionen</strong><br />

Und sein Haß hält roh<br />

die Faust ihm hin: "Ich sah dich immer so."<br />

Und da wächst der, der wie ein Büßer stand,<br />

weit auf. Sein Schatten hüllt die ganze Wand,<br />

und seine Stimme schwillt wie eine Flamme:<br />

"So schien ich dir aus diesem Bettlerstamme?<br />

Die zage, blasse Armut war mir Amme,<br />

und drum glaubst du: es ist die Schergenschramme<br />

auf meiner Brust mein einzig Purpurrecht?<br />

Ich trank mir nicht den Adel aus dem Schwamme,<br />

als König kürte ich mir ein Geschlecht,<br />

und erst im Sterben ward ich Knecht.<br />

Da ward ich - Gott. Und nur der niegewußte<br />

Gott könnte groß sein, der nicht folgen mußte<br />

dem ungestümen Ruf der Menge, die<br />

ihn brünstig brauchte. Doch in wahngeblähter<br />

Beharrlichkeit langt früher oder später<br />

der Pöbel alle Götter aus dem Äther,<br />

und in den bangen Blicken ihrer Beter<br />

zerschmelzen sie."<br />

Es schwand in Schwaden sein weißes Kleid,<br />

es ging keine Pforte.<br />

Aber der Maler hörte noch Worte, -<br />

milde Worte wehten von weit<br />

nicht aus der Zeit:

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