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Christus, Elf Visionen.

Rainer Maria Rilke, Christus Elf Visionen

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S 49<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Elf</strong> <strong>Visionen</strong><br />

Ihn fröstelte, und hastig ward sein Schreiten,<br />

das bang erklang im hallend langen Gang.<br />

Vor seiner eignen Lehre war ihm bang:<br />

vor jener Lehre der Vergänglichkeiten.<br />

Sie wuchs um ihn in säulenstarrem Hohne:<br />

so wächst der Zorn dem rachgieren Sohne,<br />

der aus des greisen Vaters feiger Frohne<br />

zu eignem Wort und eignem Weh sich wand.<br />

Er lief zuletzt. Und wie gerettet stand<br />

er endlich still auf einsamem Balkone<br />

und lauschte, was in langem, leisem Tone<br />

die matte Woge sang dem Abendland.<br />

Da knistert neben ihm ein Schleppgewand:<br />

und bei ihm kniet in hoher Mützenkrone<br />

mit weißem Bart ein purpurner Patrone,<br />

und leise faltet sich die Hand zur Hand.<br />

Und Jesus nickt und fragt den alten Mann:<br />

"Schwarz ist der Hafen. Wo sind eure Feste?<br />

Giebts keine Gäste mehr? An die Paläste<br />

legt niemals mehr der bunte Jubel an?<br />

Ich warte schon so lange, wo sind sie<br />

die mich verehrt, die wundersamen Alten<br />

mit Silberbärten, lang und tiefgespalten -<br />

die Vendramin und Papadopoli.<br />

Ich weiß: die Nacht bewohnt in euren kalten<br />

Palästen jetzt das beste Prunkgemach.

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