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S 67<br />
<strong>Christus</strong> <strong>Elf</strong> <strong>Visionen</strong> - Erklärungen, Zeitreise<br />
"Er hat wohl unter die Erde die Meinung mitgenommen, daß nicht viel aus mir<br />
werden wird. Es blieben keinerlei testamentarische Bestimmungen, als die, daß seine<br />
Töchter, meine Cousinen, mir das Studium bis zur Matura und unter Umständen die<br />
Universitätsjahre gewähren sollten ....<br />
Und ich habe in den zwei Jahren meines Universitätsstudiums ziemlich stark das<br />
Gefühl erworben, daß ich den beiden Damen eine lästige Pflicht bin. Viel lästiger<br />
noch ist mir das Sklavengefühl einer so hilflosen Abhängigkeit in meinem Alter, wo<br />
Andere schon ihre Eltern erhalten dürfen. Und dann: ich habe auf dieser Bahn gar<br />
kein Ziel. Denn ich koste immer und immer neu Geld, und wenn ich Doktor bin und<br />
nicht als Gymnasialsupplent verkümmern mag - so koste ich eben wieder Geld bis zu<br />
irgend einer Professur, nach der mich aber so gar nicht verlangt. -<br />
Mit jedem Tag wird mir klarer, daß ich Recht hatte, mit aller Kraft von Vornhinein<br />
mich gegen die Phrase zu stemmen, die meine Verwandten lieben:<br />
"Kunst ist, was man so nebenher in den Freistunden betreibt, wenn man aus der<br />
Kanzlei kommt etc." -<br />
Das ist mir ein furchtbarer Satz. Ich fühle, das ist mein Glaube:<br />
Wer sich der Kunst nicht ganz mit allen Wünschen und Werten weiht, kann niemals<br />
das höchste Ziel erreichen. [Dies war oder wurde seine Maxime, die er, Rilke, bis zur<br />
höchsten Stufe durchlebte.]<br />
Er, der Onkel, ist überhaupt nicht Künstler. Und nun kann es keine Überhebung sein,<br />
wenn ich gestehe, daß ich mich Künstler fühle, schwach und zag in Kraft und<br />
Kühnheit, aber doch lichter Ziele bewußt, und daher mir ernst, herrlich und wahr ist<br />
um jedes Schaffen. -<br />
Nicht als Martyrium betrachte ich die Kunst - aber als Kampf, den der Auserwählte<br />
mit sich und seiner Umgebung zu kämpfen hat, um dem größten Ziel, dem einen<br />
Feiertag, reinen Herzens entgegenzugehen und von dem errungenen reichen<br />
Versöhntsein allen Nachfahren mit vollen Händen zu geben. Aber das braucht einen<br />
ganzen Mann! Nicht ein paar müde Freistunden.<br />
Ich weiß nicht .... ob Sie vielleicht das Ungestüm des jungen Grolls weise belächeln,<br />
dann verzeihen Sie auch. - Jetzt bin ich von der Universität los. - Die Zeit ist da!<br />
So berichten Friedmann und Prater in ihren Bücher zu Rainer Maria Rilke.<br />
Anschließend zählte er die fertigen Werke auf: die <strong>Christus</strong>- <strong>Visionen</strong>, von denen<br />
Michael Conrad fünf zur Veröffentlichung in der Gesellschaft in Erwägung zog, die<br />
aber, ebenso wie das Drama Im Früfrost, ein Dreiakter und drei weitere Einakter und<br />
ein umfangreicher Gedichtband noch keinen festen Verleger hatten.<br />
Dazu kam noch ein Band mit Erzählungen, die dem BerlinerVerlag Schuster und<br />
Loeffler zur Beurteilung vorlagen.