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Christus, Elf Visionen.

Rainer Maria Rilke, Christus Elf Visionen

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S 24<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Elf</strong> Visonen<br />

6<br />

Die Nacht<br />

Nach Mitternacht ists. Dunkle Stunden gängeln<br />

die Letzten heimwärts längs der Häuserreih.-<br />

Nur im verrauchten Saale "Zu den Engeln"<br />

auf dem verschoßnen Samtsitz lehnen Zwei.<br />

Er und ein Weib. Und gelbe Kellner bengeln<br />

müd, mürrisch mahnend an dem Tisch vorbei.<br />

Ein Piccolo hockt an des Saales Ende<br />

auf steilem Stuhle ganz von Schlaf verschneit.<br />

Nur da und dort glühn trübe Lampenbrände,<br />

in Rauch und Dämmer lösen sich die Wände,<br />

und langsam durch die Wanduhr tropft die Zeit.-<br />

Das Weib neigt sich zu dem Gefährten. Weit<br />

giert aus dem wellengrellen Seidenkleid<br />

die Sinnenhast der ewig kalten Hände:<br />

"Was bist du denn so traurig fort, du, Blasser?<br />

Ich glaube gar du bist ein Menschenhasser?<br />

Schau, - ich bin schön und wir sind ganz allein...<br />

Die Schönheit! Prosit! Aber - du - mit Wasser?..."<br />

Und sie erweckt ein Echo: "Kellner, Wein!"<br />

"Nein, du, ich will nicht trinken", wehrt er ernst.<br />

"Geh, Lieber, spare deine weisen Worte.<br />

Willst du auch jetzt noch nicht? Schau her: die Sorte<br />

Champagner! Schau! Ich wette daß du`s lernst.

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