4 Individuelle Unterschiede des Verstehens - Universität Bamberg
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4 <strong>Individuelle</strong> <strong>Unterschiede</strong> <strong>des</strong> <strong>Verstehens</strong> – 179<br />
Abbildung 46: Austausch und Synthese von Schemata beim Verstehen von<br />
„die stecknadelköpfe der professoren gehen in den halskrausen der<br />
gänseblümchen unter“ (Versuchsperson Jana).<br />
4.1.2.1.8 Springbrunnen II<br />
Am Ende der Gedichtrezeption versucht Jana, eine in sich konsistente Gesamtaussage zu<br />
entwickeln. Sie sucht nach einer Möglichkeit, die einzelnen Bilder und Geschehnisse, die sie<br />
beim Verstehen <strong>des</strong> Gedichts entwickelt hat, zusammenzufassen. Hierfür arbeitet sie die<br />
Gemeinsamkeiten der Interpretationen heraus. Es gelingt ihr nicht, eine inhaltliche Verbindung<br />
herzustellen, jedoch findet sie Gemeinsamkeiten in Bezug auf ihre eigenen kognitiven Prozesse:<br />
„Das ist wirklich ein Springbrunnen, weil die Gedanken andauernd hin und her<br />
springen, die Phantasie und alles, und weil es ganz viele verschieden<br />
Möglichkeiten gibt. Aus einem Springbrunnen springt normalerweise Wasser. Hier<br />
jetzt Worte und Phantasie. Man könnte sagen, Wasser ist lebensnotwendig, man<br />
braucht es und Phantasie wahrscheinlich auch. Vielleicht nicht lebensnotwendig,<br />
aber es macht Spaß, sich da irgendwie einzufühlen und sich zu denken, was sich da<br />
jetzt auf was bezieht.“<br />
Versuchspersonen-Beispiel 47: Überschrift „springbrunnen“ (Versuchsperson<br />
Jana).<br />
Anhand <strong>des</strong> Modells lassen sich die folgenden Stationen identifizieren: Als<br />
Interpretationseinheit wird der gesamte bearbeitete Text inklusive der Überschrift betrachtet.<br />
Probleme beim Schema-Aufbau und Widersprüche zum Weltwissen wurden bereits gelöst. Jana<br />
befindet sich direkt in der Phase <strong>des</strong> Schema-Ausbaus. Sie versucht, Verbindungen zwischen<br />
den interpretierten Textteilen herzustellen und diese mit der Überschrift „springbrunnen“ in<br />
einen Zusammenhang zu bringen. Sie sucht nach einem Oberbegriff (Subsumption), unter den<br />
sich möglichst viele Einträge in ihrem Protokollgedächtnis fassen lassen. Diese inhaltliche<br />
„Klammer“ findet sie im Konzept „springen“. Beim Lesen <strong>des</strong> „springbrunnens“ werden die<br />
unterschiedlichsten Gedächtnisschemata aktiviert („weil die Gedanken andauernd hin und her<br />
springen“).<br />
Mit dem Verbinden der Überschrift und ihrer eigenen kognitiven Prozesse hat Jana ein<br />
neues Schema aufgebaut (den „Springbrunnen der Gedanken“), welches sie anschließend auf<br />
Kompatibilität mit dem Weltwissen prüft. Die Diskrepanz innerhalb <strong>des</strong> Objektschemas („Aus<br />
einem Springbrunnen springt normalerweise Wasser. Hier jetzt Worte und Phantasie“) wird<br />
dadurch beseitigt, dass gemeinsame Subschemata von Wasser und Phantasie gefunden werden<br />
(„man braucht es und Phantasie wahrscheinlich auch“). Die Rezeption schließt mit einer