4 Individuelle Unterschiede des Verstehens - Universität Bamberg
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4 <strong>Individuelle</strong> <strong>Unterschiede</strong> <strong>des</strong> <strong>Verstehens</strong> – 189<br />
und „spießig“ übernommen. Das „Stecknadel“-Schema wird ausgelassen. So gelingt es Jan, die<br />
Diskrepanz innerhalb <strong>des</strong> Objektschemas aufzulösen und die beiden Schemata zu „stressigen,<br />
spießigen Gedanken“ zu verbinden (Synthese von Schemata). Auch vom Schema<br />
„Gänseblümchen“ wird lediglich das Subschema „blumig“ für die Interpretation verwendet. Das<br />
Schema „Halskrause“ wird ausgelassen. Um eine Verbindung zum „stressigen, spießigen<br />
Gedanken“ herzustellen, wird anstelle der Gänseblümchen die „Vorstellung“ eingesetzt<br />
(Austausch aufgrund semantischer Ähnlichkeit) und mit dem Subschema „blumig“<br />
verbunden (Synthese von Subschemata).<br />
„Der Satz bzw. das Gedicht geht im Endeffekt damit zu Ende, dass eben dieser<br />
ganze stressige, spießige Gedanke in der blumigen Vorstellung der 68er Generation<br />
untergeht.“<br />
Versuchspersonen-Beispiel 64: Hinzufügen assoziierter Schemata zu „und die<br />
stecknadelköpfe der professoren gehen in den halskrausen der gänseblümchen<br />
unter“ (Versuchsperson Jan).<br />
Das Geschehnisschema wird erweitert, indem die 68er Generation als weiteres Element<br />
hinzugenommen wird (Elaboration zur Brückenbildung). So wird die Verbindung zum<br />
übergeordneten Rahmen nochmals explizit hergestellt.<br />
4.1.3.2.10 Zusammenfassung: Jans Springbrunnen<br />
In Jans Interpretation <strong>des</strong> „springbrunnens“ lassen sich keine Strategien finden, die in der<br />
Phase <strong>des</strong> Schema-Aufbaus notwendig sind. Jan überspringt die ersten Phasen <strong>des</strong> Modells,<br />
obwohl der Text an manchen Stellen einen Umbau der Grammatik, die Auflösung lexikalischer<br />
Mehrdeutigkeit und das Verstehen von Neologismen erfordert. Entsprechende Textstellen<br />
werden entweder ausgelassen (wie der erste Halbsatz „die blumen haben namen um“) oder der<br />
Auflösungsgrad der Verarbeitung ist zu grob, um lexikalische Mehrdeutigkeit oder kleine<br />
„Schreibfehler“ (wie „straßenbahnkontrollore“) zu bemerken. Insbesondere am Anfang <strong>des</strong><br />
Rezeptionsprozesses ist der Auflösungsgrad der Verarbeitung relativ grob.<br />
Der grobe Auflösungsgrad der Verarbeitung zu Beginn zeigt sich auch in der Wahl der<br />
Strategien. Anfangs entwickelt Jan ein „Superschema“, welches den inhaltlichen Rahmen für<br />
die folgenden Interpretationen steckt. Das „Superschema“ wird durch Prozesse der Subsumption<br />
und individuellen Ausgestaltung entwickelt (vgl. Abschnitt 4.1.3.2.1: 68er Feeling).<br />
Anschließend bevorzugt Jan bei der Interpretation der ersten Textabschnitte die Strategie der<br />
grammatikalischen Neukonstruktion (vgl. Abschnitte 3.4.1.1 und 4.1.3.2.3). Im Verlauf der<br />
Gedichtrezeption lässt sich beobachten, dass eine Neukonstruktion der Grammatik immer<br />
seltener und Austauschprozesse aufgrund semantischer Ähnlichkeit immer häufiger<br />
vorkommen, am Ende zum Teil verbunden mit einer Synthese von Schemata. Die Dominanz<br />
bestimmter Strategien im Verlauf der Rezeption zeigt, dass Jan seinen Auflösungsgrad<br />
verfeinert und gegen Ende näher an den im Text vorgegebenen Elementen und Relationen<br />
bleibt.<br />
Jans Vorgehen lässt sich wie folgt charakterisieren: Anfangs entwickelt Jan ein<br />
übergeordnetes Schema, mit dem sich möglichst viele Textelemente verbinden lassen. Diese<br />
Gesamtinterpretation wird individuell ausgestaltet, sodass eine Reihe neuer Anknüpfungspunkte<br />
für weitere Interpretationen entstehen. Anschließend geht Jan den Text Abschnitt für Abschnitt