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4 Individuelle Unterschiede des Verstehens - Universität Bamberg

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4 <strong>Individuelle</strong> <strong>Unterschiede</strong> <strong>des</strong> <strong>Verstehens</strong> – 165<br />

interindividueller Komparation. In der qualitativen Einzelfallbetrachtung werden die Daten<br />

aufbereitet und kategorisiert. Es schließt sich eine Personencharakterisierung an, die den<br />

Grundstock für den zweiten Schritt, den der interindividuellen Vergleiche, bildet. Diese<br />

vergleichende Gegenüberstellung möglichst unterschiedlicher Versuchspersonen (sog. „corner<br />

cases“; vgl. Jüttemann, 1990) enthält einen Vorschlag zur Typendifferenzierung. Es werden<br />

Charakteristika heraus gearbeitet hinsichtlich derer sich die analysierten Versuchspersonen<br />

unterscheiden.<br />

In dieser Arbeit wird die Methode der Komparativen Kasuistik nicht nur zur Generierung<br />

von Hypothesen, sondern auch zur Modellprüfung eingesetzt. Anhand der Analysen zweier<br />

„corner cases“ wird geprüft, ob sich das Vorgehen einzelner Versuchspersonen bei der<br />

Rezeption unterschiedlicher Gedichte anhand <strong>des</strong> Modells lückenlos erklären lässt. Die<br />

Gegenüberstellung der „corner cases“ ermöglicht darüber hinaus die Entwicklung von<br />

Hypothesen über individuelle Charakteristika, die dazu dienen, unterschiedliche<br />

„Vorgehenstypen“ zu differenzieren.<br />

Für die Theorienprüfung werden die Äußerungen von Versuchspersonen kategorisiert. Die<br />

Strategien <strong>des</strong> <strong>Verstehens</strong> werden anhand einzelner Stationen <strong>des</strong> Modells nachvollzogen. Der<br />

Interpretationsprozess wird beschrieben, indem das Durchlaufen einzelner Stationen <strong>des</strong><br />

Modells durch wörtliche Zitate aus den Versuchspersonen-Daten belegt wird. Dieser Versuch<br />

der Passung von Modell und Versuchspersonen-Daten erfolgt anfänglich sehr genau. Später<br />

konzentriert sich die einzelfallanalytische Auswertung auf die Identifikation der Strategien der<br />

Unbestimmtheitsreduktion. Die Daten werden im Hinblick auf individuelle Vorlieben der<br />

Versuchspersonen für bestimmte Strategien untersucht und es wird ermittelt, ob sich<br />

individuelle Präferenzen im Verlauf der Interpretation verändern. Die Zitate werden zur<br />

besseren Übersicht kursiv gedruckt, die Strategien der Unbestimmtheitsreduktion werden durch<br />

fetten Druck hervorgehoben.<br />

Für die Einzelfallanalysen wurden die Interpretationen von Jandls „springbrunnens“ und<br />

Rainer Maria Rilkes „Schluß-Stücks“ herangezogen. Um die Einzelfallanalysen besser<br />

verfolgen zu können werden die beiden Gedichttexte an dieser Stelle abgedruckt:<br />

springbrunnen<br />

die blumen haben namen um, die parkbänke rodeln unter den<br />

doppelkinnen der liebespaare, die wolken tanken blaues benzin<br />

und jagen mit fliegenden krawatten über den himmel. aus den<br />

astlöchern der straßenbahn-kontrollore schlüpfen honigfrische<br />

schmetterlinge, spucken einander in die schnurrbärte und<br />

drehen daraus eine drahtseilbahn. zwei matratzen wiehern<br />

plötzlich wie kühe und werden von einem amtsrat in die mütze<br />

gemolken. hölzerne knaben werden über nacht zu vaselinlöwen<br />

und brüllen wie kandelaber, die mädchen essen mit<br />

stimmgabeln, und die stecknadelköpfe der professoren gehen in<br />

den halskrausen der gänseblümchen unter.<br />

Gedicht 1: „springbrunnen“ von Ernst Jandl (1976).

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