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Psychotherapeutenjournal 2/2013 (.pdf)

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M. Ochs<br />

der MST durch Expertenmeinungen bestimmt<br />

wurde: Die zuweisenden Fachpersonen<br />

wurden um eine Einschätzung gebeten,<br />

welche alternativen Behandlungsoptionen<br />

wahrscheinlich gewesen wären.<br />

Dadurch fließen subjektive Fachmeinungen<br />

in die Bestimmung des finanziellen<br />

Nutzens der MST ein. Optimal für die objektive<br />

Abschätzung der ökonomischen<br />

Effekte der MST wäre ein experimentelles<br />

Design, in dem die Jugendlichen nach einem<br />

Zufallsverfahren entweder der Behandlungs-<br />

oder einer Kontrollgruppe zugewiesen<br />

werden. So ermutigend und positiv<br />

die Ergebnisse dieser Studie auch<br />

sind, so wäre streng genommen ein solches<br />

experimentelles RCT-Design notwendig,<br />

um die ökonomische Überlegenheit<br />

der MST gegenüber fremdunterbringenden<br />

Jugendhilfemaßnahmen zweifelsfrei<br />

zu belegen.<br />

Systemische Behandlung der Anorexia nervosa im ambulanten Setting: empirische<br />

Hinweise zum Nutzen der Einbeziehung von Angehörigen in die Behandlung<br />

Grünwald, H., Stauffacher, K., Kiss, A.,<br />

Ostafin-Hermann, C. & Liechti, J. (<strong>2013</strong>).<br />

Ergebnisqualität ambulanter systemischer<br />

Therapie bei Anorexie. Eine Praxisstudie<br />

zur Wirksamkeit der systemisch orientierten<br />

Therapie im ambulanten Setting. Familiendynamik,<br />

38 (1), 52-61.<br />

Die wissenschaftliche Anerkennung der<br />

Systemischen Therapie durch den WBP<br />

basiert, wie auch bekanntlich jene anderer<br />

psychotherapeutischer Verfahren, größtenteils<br />

auf (ausländischen) RCT-Studien.<br />

Diese wissenschaftliche Begründetheit<br />

sollte deshalb für alle durch den WBP anerkannten<br />

Verfahren um Studien ergänzt<br />

werden, die die Wirksamkeit von Psychotherapie<br />

im real existierenden, deutschsprachigen<br />

Versorgungskontext erkunden<br />

(Nübling, 2012). Ein bekanntes Beispiel<br />

hierfür ist die sogenannte TK-Studie (Wittmann<br />

& Steffanowski, 2011).<br />

Die hier vorgestellte Studie untersuchte<br />

die systemische Behandlung am Beispiel<br />

von Anorexia nervosa im ambulanten Setting<br />

in der Schweiz. Es wird mit einem Prä-<br />

Post-Design sowie einer qualitativen Ergänzungsstudie<br />

die Wirksamkeit der ambulanten<br />

Systemischen Psychotherapie<br />

untersucht. Am Zentrum für Systemische<br />

Therapie und Beratung (ZSB) Bern wurden<br />

35 Therapieverläufe dokumentiert.<br />

Bei den Patienten handelte es sich um eine<br />

gemischte Gruppe im Alter zwischen<br />

zwölf und 32 Jahren mit einem oder beiden<br />

Elternteilen. Die Behandlungen umfassten<br />

Sitzungen im Einzel- wie auch im<br />

Mehrpersonensetting. Über die gesamte<br />

Behandlungsdauer von etwa zwei Jahren<br />

wurden gute Effekte erzielt. Die Veränderung<br />

der mittleren Symptombelastung<br />

(Global Severity Index GSI des SCL-90-R)<br />

stellte sich folgendermaßen dar: 55,9%<br />

der Patienten konnten bezüglich der Symptomatik<br />

als geheilt und 11,8% als verbessert<br />

beurteilt werden. Die subjektive Wahrnehmung<br />

der Patienten und ihrer Eltern<br />

bestätigte in der ergänzenden qualitativen<br />

Erhebung, wie wichtig die Einbeziehung<br />

der Angehörigen sowie die Definition der<br />

Patienten als Experten ihres Erlebens –<br />

beides wesentliche Elemente eines systemischen<br />

Therapievorgehens – sind.<br />

Die quantitativen Ergebnisse der Studie<br />

wurden durch einen qualitativen Teil ergänzt,<br />

in dem Interviews durchgeführt und<br />

ausgewertet wurden. 4 Hierfür wurden fünf<br />

Familien ausgewählt, deren Therapieverläufe<br />

den stärksten Symptomrückgang<br />

aufwiesen. Getrennt befragt wurden jeweils<br />

Patient und Eltern oder Elternteil, um<br />

die verschiedenen Perspektiven zu berücksichtigen.<br />

Die Wahl dieser selektiven<br />

Stichprobe mit erfolgreichen Verläufen<br />

entstand aus dem Gedanken, dass dadurch<br />

am ehesten der mögliche Wirkbereich<br />

des Modells ausgeleuchtet werden<br />

könnte, auch wenn damit nur eine eingeschränkte<br />

Verallgemeinerbarkeit in Kauf<br />

genommen wird. Gleichzeitig bestand bei<br />

diesen Betroffenen eine hohe Bereitschaft,<br />

Auskunft über ihre Therapieerlebnisse<br />

und Erfahrungen zu geben. Hier<br />

konnten Erkenntnisse gewonnen werden<br />

zu dem, was die Patienten und ihre Angehörigen<br />

als besonders wirksam und hilfreich<br />

in der Behandlung erlebten, nämlich:<br />

eine gute, tragfähige therapeutische<br />

Beziehung als Grundlage eines therapeutischen<br />

Arbeitsbündnisses, die Definition<br />

der Patienten als Experten ihres Erlebens<br />

sowie die Einbeziehung des Systems, um<br />

Therapiebeziehung und Motivation zu<br />

stärken und zu vertiefen.<br />

Kommentar: Praxisstudien durchzuführen<br />

stellt aus verschiedenen Gründen eine<br />

große Herausforderung dar. Solche Gründe<br />

können etwa sein: Herstellung von Motivation<br />

bei Psychotherapeuten zur Teilnahme,<br />

Akquise finanzieller Förderung<br />

oder Einhaltung höchstmöglicher wissenschaftlicher<br />

sowie ethischer Standards bei<br />

der Durchführung. Der Goldstandard zur<br />

Ermittlung der Wirksamkeit psychotherapeutischer<br />

Behandlung ist bekanntermaßen<br />

sowohl unter Labor- als auch unter<br />

Versorgungsbedingungen das RCT-Design.<br />

Dieser Standard wurde hier in der Studie<br />

nicht erfüllt, es handelt sich „lediglich“ um<br />

eine Prä-Post-Messung ohne Kontrollgruppe.<br />

Deshalb sollten die guten Wirksamkeitsergebnisse,<br />

welche die ambulante<br />

Systemische Therapie in dieser Studie erbrachte,<br />

unter eben jenem Vorbehalt interpretiert<br />

werden. Außerdem muss in dieser<br />

Studie als kritisch angesehen werden, dass<br />

Selektivitäts- und Repräsentativitätsaspekte<br />

nicht völlig geklärt werden können – ein<br />

typisches Problem von sogenannten Kohortenstudien.<br />

Auch ist sicherlich kritisch<br />

anzumerken, dass in die qualitative Befragung<br />

– wenn auch aus nachvollziehbaren<br />

Erwägungen – nur erfolgreiche Patienten<br />

einbezogen wurden. Wir wissen somit<br />

nicht, ob die weniger erfolgreichen Patienten<br />

in dieser Kohorte anderes geäußert<br />

hätten – diese Fragen liegen auf der Hand<br />

und sollten – wie von den Autoren auch<br />

getan – zumindest angesprochen werden.<br />

4 Zu Mixed-Methods-Studien in Psychotherapie<br />

siehe Ochs (2009), zu speziell solchen<br />

im Kontext Systemischer Forschung siehe<br />

Ochs (2012).<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2013</strong><br />

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