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eine alte religionsgemeinschaft zwischen tradition und moderne

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www.yeziden-colloquium.de<br />

wäre Gott schwach, wenn er noch <strong>eine</strong> zweite Kraft neben sich existieren lassen würde, die<br />

ohne sein Dazutun etwas verrichten könnte. Die Aussprache des Wortes des Bösen ist gleichbedeutend<br />

mit der Akzeptanz der Existenz dieser bösen Kraft <strong>und</strong> stellt aus yezidischer Sicht<br />

<strong>eine</strong> Gotteslästerung dar. Der Begriff wird von Yeziden daher nicht ausgesprochen, er fehlt<br />

auch in dieser Darstellung.<br />

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Yeziden k<strong>eine</strong> Paradies-Höllen-<br />

Theorie haben. Vielmehr glauben die Yeziden an Seelenwanderung <strong>und</strong> Wiedergeburt<br />

(Kirasguhertin). Die Yeziden glauben, dass das Leben nicht mit dem Tod endet, sondern dass<br />

es nach <strong>eine</strong>r Seelenwanderung <strong>eine</strong>n neuen Zustand erreicht. Der [16] neue Zustand ist abhängig<br />

von den Taten im vorherigen Leben. In diesem Zusammenhang spielen der „Jenseitsbruder“<br />

(Biraye achrete) für <strong>eine</strong>n Mann bzw. die „Jenseitsschwester“ (Chucha achrete) für<br />

<strong>eine</strong> Frau <strong>eine</strong> wichtige Rolle für <strong>eine</strong>n Yeziden / <strong>eine</strong> Yezidin. Unter den Mitgliedern der<br />

Glaubensgemeinschaft sucht man sich zu Lebzeiten <strong>eine</strong>n Bruder bzw. <strong>eine</strong> Schwester für das<br />

Jenseits aus. Diese Wahlgeschwister übernehmen im Jenseits gegenseitig die moralische Mitverantwortung<br />

für ihre Taten, <strong>und</strong> in der Totenzeremonie „begleiten“ sie den Verstorbenen /<br />

die Verstorbene auf dem Weg zur neuen Bestimmung. Nach den yezidischen Vorstellungen<br />

bestand die Verbindung der Jenseitsgeschwister bereits im vorherigen Leben <strong>und</strong> wird im<br />

künftigen Leben weiterbestehen.<br />

Der Mensch ist in erster Linie selbst verantwortlich für sein Wirken. Aus yezidischer<br />

Sicht hat Gott dem Menschen die Möglichkeit gegeben, zu sehen, zu hören <strong>und</strong> zu denken.<br />

Er hat ihm den Verstand gegeben <strong>und</strong> damit die Möglichkeit, für sich den richtigen Weg zu<br />

gehen.<br />

Eine zentrale Bedeutung in den yezidischen Glaubensvorstellungen hat Taus-i Melek,<br />

der durch <strong>eine</strong>n Pfau symbolisiert wird. Nach der Schöpfungsgeschichte hat Gott Taus-i<br />

Melek mit sechs weiteren Engeln aus s<strong>eine</strong>m Licht erschaffen. Aufgr<strong>und</strong> der Weigerung,<br />

Adam anzubeten, steht er für die Anerkennung der Allmacht Gottes. Er wurde von Gott zum<br />

obersten der sieben Engel erkoren <strong>und</strong> steht somit im Mittelpunkt des yezidischen Glaubens.<br />

Nach der Schöpfungsgeschichte der Yeziden ist Taus-i Melek an der gesamten Schöpfung, an<br />

dem göttlichen Plan aktiv beteiligt. So symbolisiert Taus-i Melek in der yezidischen Theologie<br />

nicht das Böse <strong>und</strong> ist auch kein in Ungnade gefallener Engel, sondern ist der Beweis<br />

für die Einzigartigkeit Gottes.<br />

Hier liegt auch der Ansatzpunkt für die Kritik der anderen Religionsgemeinschaften,<br />

die davon ausgehen, dass es sich stets um den gleichen, gefallenen Engel handele. Nicht nur<br />

der dem Engel zugeschriebene mythologische Werdegang, sondern auch das darauf<br />

basierende Dogma <strong>und</strong> die vorherrschende Weltanschauung der Yeziden sind jedoch gr<strong>und</strong>legend<br />

verschieden.<br />

Eine zweite wichtige Gestalt für die Yeziden ist der Reformer Scheich Adi aus dem<br />

11./12. Jahrh<strong>und</strong>ert. Er ist für die Yeziden <strong>eine</strong> Inkarnation des Taus-i Melek, der kam, um<br />

das Yezidentum in <strong>eine</strong>r schwierigen Zeit neu zu beleben. An s<strong>eine</strong>m Grab in Lalesh findet<br />

jedes Jahr vom 6.-13. Oktober das „Fest der Versammlung“ (Jashne Jimaiye) statt. Yeziden<br />

aller Gemeinden aus den Siedlungs- <strong>und</strong> Lebensgebieten kommen zu diesem Fest zusammen,<br />

um ihre Gemeinschaft <strong>und</strong> ihre Verb<strong>und</strong>enheit zu bekräftigen. Leider erschweren oder verhindern<br />

politische Umstände häufig die Pilgerfahrt nach Lalesh, die <strong>eine</strong> Pflicht für jeden<br />

Yeziden ist. Aus Lalesh bringen die Yeziden geweihte Erde mit, die mit dem heiligen Wasser<br />

der Quelle Zemzem zu festen Kügelchen geformt wurde. Sie gelten als „heilige [17] St<strong>eine</strong>“<br />

(Sing.: Berat) <strong>und</strong> spielen bei vielen religiösen Zeremonien <strong>eine</strong> wichtige Rolle.<br />

3 Asyl <strong>und</strong> Integration<br />

In ihren Heimatgebieten im Vorderen Orient waren <strong>und</strong> sind die Yeziden <strong>eine</strong>r doppelten Verfolgung<br />

ausgesetzt: Einmal ethnisch, weil sie Kurden sind, <strong>und</strong> zum anderen religiös, weil sie<br />

in den Augen f<strong>und</strong>amentalistischer Muslime als „Ungläubige“, „vom wahren Glauben Abgefallene“<br />

gelten, die es entweder zu bekehren oder umzubringen gilt. Denn nach den Vor-

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