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eine alte religionsgemeinschaft zwischen tradition und moderne

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www.yeziden-colloquium.de<br />

meinschaft garantierten. Aber eben weil sie sich als erfolgreich bewährt hatten, haben sie zu<br />

<strong>eine</strong>r Erstarrung der Strukturen geführt, was <strong>eine</strong> jetzt nötige Neuorientierung ungemein erschwert.<br />

3 Traumata <strong>und</strong> kollektives Gedächtnis<br />

Kriege, Misshandlungen, Missachtungen <strong>und</strong> Ausgrenzungen haben bei den Yeziden zu<br />

objektiven <strong>und</strong> subjektiven traumatischen Belastungen geführt. Jedes erlittene psychische<br />

Trauma wird innerhalb <strong>eine</strong>r Familie weitergegeben. Wenn <strong>eine</strong> Gemeinschaft, ein Volk,<br />

insgesamt objektive <strong>und</strong> subjektive traumatische Erfahrungen gemacht hat, prägen sie sich<br />

als kollektive Erinnerung in das Bewusstsein der Gemeinschaft ein <strong>und</strong> werden von<br />

Generation zu Generation weiter „vererbt“. Schmerzvolle Erfahrungen können also <strong>eine</strong><br />

Gemeinschaft über Generationen hinaus traumatisieren (s. a. Kizilhan 1997, S. 183 ff.).<br />

Bei den Yeziden wird die Weitergabe des psychischen Traumas an die nachfolgenden<br />

Generationen noch dadurch verstärkt, dass <strong>eine</strong> Verfolgung der Yeziden bis heute sogar von<br />

ihren muslimisch-kurdischen Nachbarn geleugnet wird. Da sich diese Haltung auch unter<br />

den Migrantengruppen in Europa fortsetzt, übt das <strong>eine</strong>n starken Einfluss auf die hier in der<br />

Diaspora lebenden Yeziden aus, bestätigt doch das Verh<strong>alte</strong>n der „Anderen“ sie in ihren<br />

eigenen, überlieferten Verh<strong>alte</strong>ns- <strong>und</strong> Denkmustern. So wird die Ausbildung <strong>eine</strong>r neuen,<br />

auf die Diaspora bezogenen sozialen <strong>und</strong> persönli- [83] chen Identität der Yeziden verhindert.<br />

Das Verharren erschwert <strong>eine</strong> Integration in der Diaspora, weil es die Abgrenzung<br />

gegen das Fremde verstärkt. Hinzu kommen Reaktionen auf die Verletzung von Rechtsgefühl<br />

<strong>und</strong> Gerechtigkeitsvorstellungen. Weiterhin spielen bei den Yeziden natürlich auch<br />

die aktuellen Ereignisse – der Krieg in Kurdistan, die Zerstörung der Heimat, der Verlust<br />

von geliebten Menschen usw. – <strong>eine</strong> wichtige Rolle, die dann die zurückliegenden<br />

Katastrophen wieder aktualisieren <strong>und</strong> sie im Nachhinein zu <strong>eine</strong>m traumatischen Ereignis<br />

werden lassen. Auf diese Weise könnte das Trauma auch spätere Generationen betreffen,<br />

auch wenn sie k<strong>eine</strong> unmittelbare Verbindung mehr zu den Ereignissen haben.<br />

Mit der Weitergabe traumatischer Ereignisse aus der Geschichte der Yeziden wurden so<br />

z. B. <strong>eine</strong> ablehnende Haltung gegenüber dem Islam <strong>und</strong> die Angst vor Türken, Arabern <strong>und</strong><br />

muslimischen Kurden, die ihn repräsentierten, auf nachfolgende Generationen übertragen.<br />

Sie sind auch bei den Yeziden anzutreffen, die in Europa oder <strong>eine</strong>m anderen westlichen<br />

Staat aufgewachsen sind. Die Zeit heilt eben nicht alle W<strong>und</strong>en.<br />

Die objektiven <strong>und</strong> subjektiven Belastungen von Traumata werden durch soziale Unterstützung<br />

der Eigengruppe gemildert. Am wirksamsten sind die Bindungen an die Familie<br />

<strong>und</strong> an das soziale yezidische Umfeld, an die Religion sowie an Traditionen wie Familiensinn<br />

<strong>und</strong> Ehre. Besonders der letztgenannte Faktor spielt für die empf<strong>und</strong>ene Sicherheit <strong>und</strong><br />

Zugehörigkeit <strong>eine</strong> bedeutende Rolle. Bei den Yeziden, vor allem bei denen in der<br />

Diaspora, sind diese Bindungen im Begriff, abhanden zu kommen <strong>und</strong> beginnen so, ihre<br />

Funktion zu verlieren.<br />

4 Neuorientierung unter Bewahrung der Identität<br />

Religion <strong>und</strong> Gesellschaft der Yeziden können nicht aus ihrer Erstarrung befreit werden,<br />

solange die Gemeinschaft in die Defensive gedrängt wird oder sich selbst in die Defensive<br />

drängt. Kulturelle Selbstbehauptung bei gleichzeitiger Bereitschaft, sich den Herausforderungen<br />

der Welt von heute gegenüber offen zu zeigen, ist gefragt. Eine Neuorientierung<br />

<strong>und</strong> Wandlung ist nur dann möglich, wenn <strong>eine</strong> offene Diskussion in der<br />

Yezidengemeinschaft geführt wird, wobei ihren Organisationen <strong>und</strong> Eliten <strong>eine</strong> Vorreiterrolle<br />

zufällt. Eine Einbindung der gesamten yezidischen Gemeinde in diese Diskussion ist<br />

jedoch wichtig, um sie problembewusst für die Veränderun- [84] gen zu machen <strong>und</strong> zu<br />

erreichen, dass sie die Notwendigkeit von Veränderungen akzeptiert. Das Gefühl <strong>eine</strong>s<br />

„Verlustes“ <strong>und</strong> <strong>eine</strong>r Verschiebung des bisherigen Gleichgewichts in allen Bereichen löst<br />

sowohl Tendenzen der Um- <strong>und</strong> Neudefinierungen als auch Tendenzen der Kultur-

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