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eine alte religionsgemeinschaft zwischen tradition und moderne

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www.yeziden-colloquium.de<br />

[23]<br />

II<br />

Wissenschafts- <strong>und</strong> Sozialgeschichte<br />

Philip G. Kreyenbroek<br />

Die Tradition der Yeziden in westlicher <strong>und</strong> in yezidischer Sicht<br />

In den Glaubensvorstellungen der Yeziden sind sowohl der starke Einfluss des Sufi-<br />

Heiligen Scheich Adi bin Musafir aus dem 11./12. Jahrh<strong>und</strong>ert zu erkennen als auch vorislamische<br />

Vorstellungen <strong>und</strong> Praktiken, die ihren Glauben <strong>und</strong> ihre Rituale in hohem Maße<br />

geprägt haben. Während im Allgem<strong>eine</strong>n solche Gemeinden im Vorderen Orient als heterodoxe<br />

islamische Sekten anerkannt werden, befinden sich die Yeziden jenseits der vom Islam<br />

noch tolerierten Grenze. Die Bedrohung durch die Muslime in der Türkei veranlasste die<br />

meisten der dort lebenden Yeziden, in Europa Zuflucht zu suchen. In den neunziger Jahren<br />

des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts kam <strong>eine</strong> wachsende Zahl von Yeziden aus dem Irak hinzu, da sie dort<br />

für gewöhnlich zu den Ersten zählten, die den Zorn <strong>eine</strong>s Saddam Husains zu spüren bekamen<br />

<strong>und</strong> sich kein muslimischer Staat der Region für sie einsetzte. In Deutschland bilden<br />

die Yeziden weniger als zehn Prozent der hier lebenden Kurden.<br />

Die Yeziden sind vielen Deutschen wohl am besten durch das Buch: „Durchs wilde<br />

Kurdistan“ bekannt, in welchem Karl May diese Gruppe als besonders repräsentativ für die<br />

„wilden“ Kurden insgesamt darstellt, obwohl sie in Wirklichkeit nur <strong>eine</strong> relativ kl<strong>eine</strong><br />

Minderheit aller Kurden bilden (May 1892). Und damit bin ich schon bei der Problematik<br />

angelangt, mit der ich mich in dem Artikel befassen möchte: Wie kamen die Beschreibungen<br />

der Yeziden durch westliche Forscher zustande? Welches Bild vermittelten die<br />

Forscher vom Wesen der yezidischen Religion, <strong>und</strong> wie verh<strong>alte</strong>n sich die Beschreibungen<br />

gegenüber den Überlieferungen in den <strong>tradition</strong>ellen Texten der Yeziden selbst? Damit verb<strong>und</strong>en<br />

ist die Frage, welche Rolle das kulturell bedingte Weltbild der Forscher bei ihrer<br />

Konstruktion des „Yezidismus“ spielte.<br />

Um die Probleme, welche die Forscher bei ihrer „Konstruktion“ hatten, besser verstehen<br />

zu können, muss man sich vergegenwärtigen, dass sich die Religion der Yeziden von<br />

anderen, besser bekannten Religionen unterscheidet. Für jemanden, der in der abendländischen<br />

Tradition der Schrift- [24] kultur aufgewachsen ist, ist es selbstverständlich, dass<br />

<strong>eine</strong> Religion über <strong>eine</strong> hochentwickelte schriftliche Überlieferung verfügt, in der Werke über<br />

die Doktrin <strong>eine</strong> große Rolle spielen. Aus dieser schriftlichen Überlieferung kann dann ein<br />

mehr oder weniger klar definiertes System von Glaubensvorstellungen extrapoliert werden,<br />

<strong>und</strong> es wird meistens angenommen, dass geschriebene Quellen <strong>und</strong> die darin vermittelten<br />

Doktrinen die Essenz der Religionen enth<strong>alte</strong>n. Dies lässt sich jedoch nicht ohne weiteres auf<br />

das Yezidentum übertragen. Mit wenigen Ausnahmen war es den Yeziden <strong>tradition</strong>ell<br />

verboten, lesen <strong>und</strong> schreiben zu lernen. Deswegen fehlen nicht nur doktrinäre Literatur <strong>und</strong><br />

<strong>eine</strong> heilige Schrift, sondern auch ein kohärentes System von Doktrinen, wie es sich nur in<br />

<strong>eine</strong>m ausgeprägt literarischen Milieu entwickeln kann. Dies bedeutet durchaus nicht, dass die<br />

Yeziden nicht über religiöse Glaubensgr<strong>und</strong>sätze verfügen; das geistliche Leben der Yeziden<br />

ist von derselben Komplexität wie das der Anhänger von Buchreligionen. Nur spielen in ihrer<br />

Tradition Mythen, Erzählungen <strong>und</strong> Legenden <strong>eine</strong> größere Rolle als die Doktrin, <strong>und</strong> ihre<br />

religiösen Texte sind deshalb anders zu verstehen als Werke, die auf christlicher oder islamischer<br />

theologischer Tradition basieren. Wenn man also versucht, das Yezidentum nach<br />

dem Modell des Islam oder des Christentums darzustellen, ist bereits die Fragestellung so<br />

verfehlt, dass das Resultat mit der gelebten Realität der Yezidengemeinde kaum noch etwas<br />

zu tun haben kann. Sogar hervorragende Wissenschaftler haben in der Vergangenheit bei der<br />

Untersuchung der yezidischen Religion Missverständnisse verursacht, weil sie zu sehr ver-

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