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eine alte religionsgemeinschaft zwischen tradition und moderne

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www.yeziden-colloquium.de<br />

dem Kalifen Marwan al-Hakim <strong>und</strong> Scheich Adi sind jedoch nur sechs Vorfahren des<br />

Scheichs überliefert (al-Hasanî 1980). Jeder dieser Vorfahren müsste also mit über 65<br />

Jahren <strong>eine</strong>n Sohn gezeugt haben! Fiktive Stammbäume sind bei Derwisch-Heiligen k<strong>eine</strong><br />

Seltenheit; auch im Falle von Scheich Adi scheint es sich um den Versuch gehandelt zu<br />

haben, ihn mit <strong>eine</strong>r vornehmen Abstammungslegende zu versehen.<br />

Die arabisch-omaijadische Herkunft des Scheichs lässt sich nun k<strong>eine</strong>sfalls mit<br />

yezidischen Überlieferungen in Einklang bringen. In dem Qewl „Mala Bava“ (das Haus<br />

m<strong>eine</strong>s Vaters) lautet es:<br />

„Ich sage euch, ich sage euch,<br />

<strong>und</strong> schwöre bei der Kuppel, die gen Osten gerichtet ist,<br />

[47] das Haus der Scheichs ist schön.<br />

Es wurde von Meisterhand gebaut;<br />

das Haus der Scheichs strahlt.<br />

Die Meisterhand hat das Werk vollendet.<br />

Scheich Adi besichtigte es selbst;<br />

das Haus der Vorfahren ist w<strong>und</strong>erschön,<br />

die Fre<strong>und</strong>e sind das Licht der beiden Augen.<br />

Das Haus des Scheichs strahlt.<br />

Scheich Adi verließ Syrien;<br />

die Ereignisse überschlugen sich.<br />

Scheich Adi ließ sich in Lalesh nieder.<br />

Das Haus der Scheichs ist prachtvoll.<br />

Scheich Adi kam aus Syrien;<br />

im Osten wurde er aktiv.<br />

Das Haus der Urahnen ist schön geworden,<br />

Scheich Adi ist selbst die Erleuchtung <strong>und</strong> der Fleiß.<br />

Das Haus der Scheichs ist heilig <strong>und</strong> erleuchtend.“<br />

Aus diesem Text geht hervor, dass Scheich Adi von den Yeziden nicht als Fremder angesehen<br />

wurde, sondern als <strong>eine</strong>r, „der in das Haus s<strong>eine</strong>r Vorfahren“ zurückkehrte.<br />

In <strong>eine</strong>m Text aus dem 15. Jahrh<strong>und</strong>ert bezeichnete der Mönch Ram Ischo den Scheich<br />

Adi als <strong>eine</strong>n „Tirahiya“-Kurden, <strong>eine</strong>n Kurden mit zarathustrischer Religion (Sarkîs 1948,<br />

S. 222 f.). Diese Kurden verbrachten den Sommer in den Bergen <strong>und</strong> den Winter in der<br />

wärmeren Ebene von Mosul. Auf dem Weg vom Sommergebiet (Zozan) zum Wintergebiet<br />

(Germiyan) machten sie bei ihrem Stammesführer, Musafir Bin Ahmed <strong>und</strong> nach ihm<br />

dessen Sohn Adi Bin Musafir, halt <strong>und</strong> überbrachten ihm Geschenke. In der gleichen Quelle<br />

werden die Yeziden als Anhänger von Scheich Adi bezeichnet (Ahmed 1975). Dass die<br />

Yeziden <strong>eine</strong> Gruppe in den Halwan-Bergen (im heutigen Nordirak) sind, die nach den<br />

Regeln des Scheich Adi lebten, erwähnte schon der 1142 verstorbene Historiograph as-<br />

Samani (as-Sam'âni 1912, S. 600).<br />

Die Encyclopaedia of Islam bringt unter dem Stichwort „Adi Bin Musafir“ <strong>eine</strong> ganz<br />

andere Version des Mönches Ram Ischo: Der Vater von [48] Scheich Adi habe die Herden<br />

<strong>eine</strong>s Klosters gehütet <strong>und</strong> sein Sohn sei dort als Verw<strong>alte</strong>r tätig gewesen. Im weiteren Verlauf<br />

dieser Version erscheint Adi Bin Musafir allerdings in <strong>eine</strong>m sehr schlechten Licht.<br />

Das letzte Wort in der Forschung über den historischen Scheich Adi ist noch nicht gesprochen.<br />

Das 11. Jahrh<strong>und</strong>ert war der Beginn <strong>eine</strong>r turbulenten Zeit im Vorderen Orient:<br />

Im Westen fand 1096-1099 der erste Kreuzzug statt, der mit der Eroberung Jerusalems<br />

endete; im Osten eroberten die aus den zentralasiatischen Steppen abgewanderten turkstämmigen<br />

Seldschuken 1055 Bagdad <strong>und</strong> befreiten den abbasidischen Kalifen aus der Gefangenschaft<br />

s<strong>eine</strong>r iranischen Feinde – um ihn selbst unter ihren „Schutz“ zu stellen. In<br />

dieser unruhigen Zeit verschlug es immer wieder einzelne Personen, Familien <strong>und</strong> Be-

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