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eine alte religionsgemeinschaft zwischen tradition und moderne

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www.yeziden-colloquium.de<br />

[91]<br />

Irene Dulz<br />

Diskussion: Anforderungen an das Yezidentum in der Moderne<br />

Ein wesentlicher Teil der Diskussionsbeiträge behandelte die Frage, inwieweit yezidische<br />

Traditionen mit den aktuellen Lebensumständen der in Deutschland lebenden Yeziden<br />

kollidieren. Hierbei kam deutlich zum Ausdruck, dass einige Traditionen bei den Yeziden,<br />

die deutsche Nicht-Yeziden als „typisch yezidisch“ wahrnehmen, nicht in der Religion verankert<br />

sind, sondern der <strong>tradition</strong>ellen Kultur der Herkunftsregion entstammen. Dazu gehören<br />

die Blutrache <strong>und</strong> das Brautgeld, wobei Letzteres zu <strong>eine</strong>r Art „Frauenkauf“ entartet<br />

ist. Viele in Deutschland lebende muslimische <strong>und</strong> yezidische Jugendliche lehnen diesen<br />

Brauch ab. Sie entziehen sich den daraus mit ihren Eltern entstehenden Konflikten, indem<br />

sie ihrer Religionsgemeinschaft den Rücken kehren. Es gab niemanden im Auditorium, der<br />

sich für die Beibehaltung dieser Traditionen aussprach.<br />

Ein wichtiges Thema war das Endogamiegebot, also die Verpflichtung der Yeziden, nur<br />

innerhalb ihrer Religionsgemeinschaft <strong>und</strong> innerhalb ihrer religiösen Klasse zu heiraten.<br />

Insbesondere geraten yezidische Mädchen in <strong>eine</strong> oft prekäre Situation. Bei den Yeziden<br />

besteht <strong>eine</strong> unterschiedliche Akzeptanz der Kontakte <strong>zwischen</strong> yezidischen <strong>und</strong> nichtyezidischen<br />

Jugendlichen: Während man sie bei Männern „übersieht“, verurteilt man sie bei<br />

Frauen. Junge Mädchen liefen deshalb aus dem Elternhaus weg <strong>und</strong> suchten Unterstützung<br />

in anderen als den familiären Zusammenhängen (Kareba Mahmut). Eine Yezidin berichtete<br />

von ihren Beobachtungen, wonach das Yezidentum in Deutschland verloren gehe,<br />

yezidische Jugendliche sich für Beziehungen mit Nicht-Yeziden entschieden, sie nicht<br />

innerhalb der yezidischen Gemeinde, der religiösen Klassen heirateten, sondern eigene<br />

Wege gingen <strong>und</strong> sich von der yezidischen Gemeinschaft abwendeten. Gewaltanwendung<br />

gegen weibliche Mitglieder der Glaubensgemeinschaft, die sich den Heiratsregeln nicht<br />

unterwerfen wollen, stieß auf allgem<strong>eine</strong> Ablehnung.<br />

Die Heiratsregeln sind kein Integrationshindernis für die Yeziden in die deutsche Gesellschaft.<br />

Analog zur Entwicklung in Deutschland werden Änderungsprozesse einsetzen –<br />

auch deutsche Eltern hatten noch vor ein bis zwei Generationen Ehen <strong>zwischen</strong> Katholiken<br />

<strong>und</strong> Protestanten strikt [92] abgelehnt (Sigrid Maier-Knapp-Herbst). Der Entwicklungsprozess<br />

hin zu <strong>eine</strong>r Diaspora ist ein langer Weg <strong>und</strong> Generationenprobleme bestehen auch<br />

in der hiesigen, deutschen Gesellschaft. Streit <strong>und</strong> Konflikte sind nicht mit Gefährdung<br />

gleichzusetzen, bedeuteten aber Veränderungen (Andreas Ackermann).<br />

Ausführlich gingen die Diskutanten auf den Generationskonflikt ein, den viele als das<br />

eigentliche Problem ansahen <strong>und</strong> der kein spezifisch yezidischer Konflikt ist. Die<br />

yezidischen Jugendlichen wurden aufgefordert, sich aus den archaischen Denk- <strong>und</strong> Handlungsmustern<br />

heraus zu bewegen <strong>und</strong> die Chancen zu nutzen, die in der Migration liegen<br />

(Halil Savucu). Die yezidischen Familien in der Heimatregion, z. B. im Irak, haben abgeschottet<br />

gelebt. Sie vermittelten ihren Kindern viele yezidische Traditionen, welche die<br />

Kinder aus Furcht <strong>und</strong> Tabuisierung nicht hinterfragt haben. In Deutschland befindet sich<br />

die Jugend im Spannungsfeld von mindestens zwei Kulturen, ein Konflikt, der zu <strong>eine</strong>r<br />

inneren Zerrissenheit führt. Ein religionstheoretischer Diskurs kann diesen Konflikt nicht<br />

lösen (Kareba Mahmut). Vor dem Hintergr<strong>und</strong> ihrer praktischen Erfahrungen machte sich<br />

<strong>eine</strong> Bürgerin aus Celle Gedanken, wie der Umgang mit yezidischen Jugendlichen, insbesondere<br />

Mädchen, aussehen sollte. Die Mädchen haben ernsthafte Probleme, denn sie<br />

sind von Transformationsprozessen, den widersprüchlichen Anforderungen der <strong>moderne</strong>n<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> der Traditionen, am stärksten betroffen. Einige Teilnehmer meinten, dass<br />

die Frauenhäuser <strong>eine</strong> gute Einrichtung für die Betroffenen seien.<br />

Unter dem Gesichtspunk des Kulturkonflikts wurde auch die Rolle der yezidischen<br />

Ver<strong>eine</strong> beleuchtet. Ein Rechtsanwalt, der in s<strong>eine</strong>r Praxis täglich die Probleme yezidischer<br />

Mädchen <strong>und</strong> junger Frauen, die aus der Familiengemeinschaft <strong>und</strong> Sippe ausgestoßen

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