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eine alte religionsgemeinschaft zwischen tradition und moderne

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www.yeziden-colloquium.de<br />

Steigerung die Tendenz entstand, den Satan als Erlöser <strong>und</strong> Lichtbringer – Lucifer – zu<br />

sehen (Brockhaus Enzyklopädie).<br />

5 Der Unterschied <strong>zwischen</strong> Yezidentum <strong>und</strong> Offenbarungsreligionen<br />

In zwei Dingen unterscheidet sich die yezidische Religion theologisch von den monotheistischen<br />

Offenbarungsreligionen:<br />

- Erstens: Die Seele des Menschen ist ein Teil des Ganzen, des göttlichen Lichts. Und so,<br />

wie jede Seele <strong>eine</strong> Einheit mit der Natur bildet, bildet auch jedes Organ im Menschen<br />

<strong>eine</strong> Einheit mit der Seele. Der Mensch kann durch s<strong>eine</strong>n Verstand <strong>zwischen</strong> Gut <strong>und</strong><br />

Böse unterscheiden (die Organe Herz <strong>und</strong> Leber steuern, s. o.) <strong>und</strong> sich jeweils für das<br />

Eine oder das Andere entscheiden.<br />

- Zweitens: Die Yeziden glauben an <strong>eine</strong> Wiedergeburt der Seele. Der Reinkarnationsprozess<br />

reinigt die Seele, bis sie als letzte Stufe zu ihrer Hauptquelle Taus-i Melek<br />

zurückkehrt. Diese Auffassung bildet <strong>eine</strong>n Gegensatz zu den Vorstellungen im Judentum,<br />

Christentum <strong>und</strong> Islam, wo die Seelen nach dem Tod des Menschen auf ihre Auferstehung<br />

am Tage des Jüngsten Gerichts warten.<br />

Durch die Wiedergeburt verschmelzen Ezid, Taus-i Melek <strong>und</strong> Scheich Adi zu <strong>eine</strong>r Gestalt.<br />

In dem Qewl: „Scheich Adi, Scheiche Schare“ (Scheich Adi, der Scheich der Stadt) heißt es<br />

denn auch:<br />

„Scheich Adi, Taus-i Melek <strong>und</strong> Sultan Ezid sind eins.<br />

Macht k<strong>eine</strong>n Unterschied <strong>zwischen</strong> ihnen.<br />

Sie lassen die Hoffnung in Erfüllung gehen.“<br />

So gibt es also nicht zwei Götter (Ezid <strong>und</strong> Taus-i Melek), sondern nur <strong>eine</strong>n. Theologisch<br />

gesehen ist das Yezidentum – m<strong>eine</strong> letzte These – also <strong>eine</strong> monotheistische Religion.<br />

Aber im philosophischen Sinne glauben die Yeziden an die in der Natur existierende Dualität<br />

(ad-Damalûjî 1949, S. 149) – wie damit auch die Reflexion dieser Dualität zu den<br />

Gr<strong>und</strong>werten des yezidischen Gläubigen gehört.<br />

Mit m<strong>eine</strong>n religionsgeschichtlichen Thesen habe ich in diesem Vortrag versucht nahe<br />

zu legen, dass auch die yezidische Religion im Laufe ihrer [66] Entwicklung von den<br />

großen Religionen im Vorderen Orient beeinflusst worden ist. Durch den Zervanismus in<br />

spätsassanidischer Zeit fand der Dualismus Eingang in das Yezidentum <strong>und</strong> Taus-i Melek<br />

verschmolz mit Ahura Mazda <strong>und</strong> mit Ahriman. Später führte der Einfluss der sufischen<br />

Variante des Islam zur Identifizierung von Taus-i Melek mit dem Engel Izazil / Iblis. Die<br />

Gestalt des yezidischen Ur-Schöpfergottes Ezid nahm Züge des Schöpfergottes der Offenbarungsreligionen<br />

an. Mit der Entwicklung der Gottesvorstellung von <strong>eine</strong>m großen, allmächtigen<br />

Gott einher ging der Wille des Menschen zu Macht <strong>und</strong> Eroberung. Die<br />

politischen Führer identifizierten sich mit diesem Gott, auf dessen Willen ihre Herrschaft<br />

beruhte (Durkheim 1998, S. 282). Sie legitimierten ihre Herrschaft von „Gottes Gnaden“.<br />

Die Umdeutung von Taus-i Melek in <strong>eine</strong>n Gott, der das Weltgeschehen lenkt, führte deshalb<br />

auch bei den Yeziden zu <strong>eine</strong>r Festigung der Macht von Stammesfürsten <strong>und</strong><br />

Religionsführern über die Gläubigen. Religionsgeschichtlich gesprochen: Taus-i Melek<br />

wurde zum „politischen Gott der Weltreligionen“. Theologisch gesprochen: K<strong>eine</strong> dieser<br />

Entwicklungen hat jedoch den Gr<strong>und</strong>gehalt, den Taus-i Melek innewohnenden Gr<strong>und</strong>gedanken,<br />

verändert.<br />

Zu allen Zeiten <strong>und</strong> in allen Kulturen war die Religion ein Gefährt, mit dessen Hilfe sich die<br />

Menschen an ihre physische, gesellschaftliche <strong>und</strong> an die Denkkategorien ihrer geistigkulturellen<br />

Umgebung angepasst haben. Auch das Yezidentum hat mehrere solche Anpassungen<br />

durchlaufen. Für die gegenwärtige Zeit bedeutet dies, dass sich die yezidische<br />

Religion wiederum modifizieren (i. e. der „Moderne“ anpassen) muss, ohne jedoch ihre<br />

Gr<strong>und</strong>werte aufzugeben, ohne ihre Gr<strong>und</strong>aussagen zu verfremden

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