WIRTSCHAFT+ MARKT
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36 | W+M POLITIK<br />
Dr. Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen<br />
Industrie- und Handelskammertages (DIHK)<br />
Dr. Gregor Gysi, Vorsitzender der<br />
Bundestagsfraktion DIE LINKE<br />
Die bisherigen Vorschläge aus dem<br />
Bundesfinanzministerium (BMF) stellen<br />
eine deutliche Gefährdung der Übertragung<br />
von Betrieben dar. Das BMF ist mit seinen<br />
Eckpunkten weit über das hinausgegangen,<br />
was das Bundesverfassungsgericht angemahnt<br />
hat. Die vorgeschlagene Neudefinition des<br />
betriebsnotwendigen Vermögens, der niedrige<br />
Grenzwert von 20 Millionen Euro für sogenannte<br />
„große“ Unternehmen sowie die Einbeziehung<br />
des Privatvermögens bei der Bedürfnisprüfung<br />
würden zu höheren steuerlichen Belastungen der<br />
Betriebsübertragungen führen. Je nach Höhe der<br />
jeweiligen Erbschaftsteuer droht sogar ein Scheitern<br />
der Übergabe.<br />
Den Unternehmen wird in jedem Fall Kapital entzogen,<br />
das dann für wichtige Investitionen und<br />
für den Erhalt von Arbeitsplätzen fehlt. Die Konsequenz<br />
ist: Unternehmen verlieren an Substanz<br />
und Wettbewerbsfähigkeit. Im Ergebnis gefährden<br />
wir damit unseren weltweit einzigartigen<br />
Mix aus Familien-, Groß- und Kleinstunternehmen.<br />
Mehr als 135.000 Betriebe werden allein<br />
in den kommenden fünf Jahren übertragen –<br />
mit mehr als zwei Millionen Arbeitnehmern.<br />
Jeder 5. Senior-Unternehmer sieht bereits<br />
durch die aktuelle Regelung seine Betriebsübergabe<br />
gefährdet. Wenn jetzt alle Beteiligten<br />
immer wieder betonen, dass sie nicht nur<br />
eine verfassungsfeste, sondern auch eine<br />
mittelstandsfreundlich ausgestaltete Erbschaftsteuer<br />
wollen, dann muss das auch<br />
in den Gesetzesideen erkennbar sein.<br />
Die Interessenverbände der Familienunternehmen<br />
behaupten immer wieder, die<br />
Erbschaftsteuer bedrohe mittelständische<br />
Unternehmen in ihrer Existenz. Das ist aber<br />
nur eine Befürchtung. Bis heute ist kein einziger<br />
Fall bekannt, in dem ein Unternehmen an der Erbschaftssteuerlast<br />
zugrunde gegangen wäre. Sollte<br />
es tatsächlich einmal so sein, dass Erbinnen und<br />
Erben die anfallende Erbschaftsteuer nicht aufbringen<br />
können, ohne das Unternehmen existenziell<br />
zu gefährden, könnte dies durch notwendige Stundungsregelungen<br />
gelöst werden. An dieser Praxis<br />
wird sich auch nach der geplanten Reform der Erbschaftsteuer<br />
im Prinzip nichts ändern.<br />
In Wirklichkeit geht es doch nur um die Beibehaltung<br />
der Steuerprivilegien unserer Oligarchen,<br />
den Quandts, Henkels, Albrechts, Piechs und<br />
Porsches. Die 90 reichsten deutschen Familienclans<br />
halten allein ein Vermögen von 320 Milliarden<br />
Euro. Ihnen gehören große Konzerne, oder<br />
sie sind an ihnen maßgeblich beteiligt. Auch sie<br />
können als Familienunternehmerinnen und Familienunternehmer<br />
ihren Erbinnen und Erben ihre<br />
Vermögen steuerfrei übertragen. Von den derzeitigen<br />
Plänen zur Reform der Erbschaftsteuer wären<br />
nur zwei Prozent der Unternehmen betroffen.<br />
Aber es darf zu Recht angenommen werden, dass<br />
der Reichtum unserer Oligarchen von dieser Bundesregierung<br />
weiterhin gepflegt wird. Das bedeutet<br />
den Verzicht auf zehn Milliarden Euro Steuereinnahmen<br />
jährlich. Das ist der Betrag, den die Kommunen<br />
bei uns jedes Jahr benötigen, um endlich<br />
die maroder werdende Infrastruktur zu erneuern.<br />
Fotos: DIHK/Thomas Kierok (links), Deutscher Bundestag/Stella von Saldern (rechts)<br />
<strong>WIRTSCHAFT+</strong><strong>MARKT</strong> | 4/2015