Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick
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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 36<br />
11,9f.), zum Lebenskompromiß (nicht allzu gerecht und weise, aber auch nicht allzu gottlos<br />
und dumm sein: 7,16-18), ja sogar zu großem Fleiß (damit man wenigstens etwas Erfolg hat,<br />
da nicht alles gelingen wird: 11,6).<br />
L. Schwienhorst-Schönberger sieht den Kern des Buches Kohelet daher in einer Neubestimmung<br />
des Glücksbegriffs: die traditionelle jüdische Weisheitstheologie, die Glück vor allem<br />
im Besitz von Gütern sah (Reichtum, Ansehen, Nachkommenschaft), wird kontrastiert mit<br />
hellenistisch-epikureischer Philosophie (Carpe-diem-Ideal, Betonung menschlicher Partnerschaft<br />
in 4,9f.). Indem Kohelet auch diese Glückserfahrung als von Gott ermöglicht ansieht<br />
(2,24) – freilich von einem fern und unpersönlich bleibenden Gott – denkt er die alttestamentliche<br />
Schöpfungstheologie in einen kritischen Eudämonismus weiter.<br />
Entstehung und Redaktionen: Sprachform (Tendenz zum Mischnahebräisch) und hellenistische<br />
Einflüsse, andererseits jedoch die noch nicht vorausgesetzte Makkabäerzeit sprechen für<br />
eine Entstehung des Koheletbuches in der 2. Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. (zwischen 250 und 190<br />
v. Chr). Zu einem ähnlichen Ergebnis führt der psychologisierende Rückschluß auf Kohelets<br />
„Sitz im Leben“: Im pessimistisch-eudämonistischen Grundzug von Kohelets Denken kann<br />
man die Haltung derer erkennen, denen durch historische Umstände politisches Engagement<br />
versagt ist, denen die materiellen Umstände aber zumindest einen gewissen Lebensgenuß erlauben,<br />
was für das Palästina der Ptolemäer- und Seleukidenherrschaft zutrifft.<br />
Herausgegeben wurde das Buch wohl von einem Schüler Kohelets, dem auch das erste<br />
Nachwort zuzuweisen ist (12,9-11). Ein zweiter Herausgeber wollte das Buch wieder in die<br />
weisheitlich-theologische Schultradition hineinholen (die Kohelet gerade abgelehnt hatte) und<br />
erlaubt sich deshalb folgende Eingriffe:<br />
- eine Erweiterung der Buchüberschrift (1,1b), in welcher Kohelet mit dem „Sohn Davids, des<br />
Königs zu Jerusalem“, d. h. mit dem weisen Salomo identifiziert wird, angeregt durch die sog.<br />
Königsfiktion bzw. Königstravestie (1,12 – 2,12);<br />
- ein zweites Nachwort (12,12-14) mit der aus der traditionellen Weisheit stammenden Anrede<br />
„mein Sohn“ (12,12), die Kohelet vermieden hatte;<br />
- schließlich schränkt er auch Kohelets Aufforderungen zum Lebensgenuß durch Betonung<br />
eines künftigen göttlichen Gerichts ein, an das man denken müsse (11,9b; 12,14).<br />
Hohelied: hebräisch „Lied der Lieder“ (= schönstes Lied), eine Sammlung von Liebesliedern.<br />
Entstehung: Die zahlreichen Aramaismen und erst die hellenistisch bezeugte Bräutigamsbekränzung<br />
(3,11) sprechen für die Datierung der abschließenden Sammlung und Redaktion<br />
des Hoheliedes in hellenistische Zeit (3. Jh. v. Chr.). Einzelne Stücke des Hoheliedes sind<br />
aber gewiß älter (spätvor- und frühnachexilisch, 7. Jh. v. Chr.), einige mögen auch bis in die<br />
ältere Königszeit zurückreichen.<br />
Verwendete Textgattungen sind u. a. Beschreibungslied (von der Frau: 4,1-7; vom Mann: 5,9-<br />
16), Bewunderungslied (z. B. von Sulamith: 7,1-6), Prahllied (mit königskritischen Pointen:<br />
6,8f., 8,11f.), Paraklausithyron (Türklage) (2,9-14; 5,2b), Schilderungen (z. B. Hochzeitszug<br />
Salomos: 3,6-11), Rollengedicht (Dialog) (z. B. 4,12 – 5,1).<br />
Deutungen: a) allegorisch-typologisch (A. Robert u. a.): das Verhältnis von Braut und Bräutigam<br />
bezeichne das von Jahwe und Israel; b) kultisch-mythisch (H. Schmökel u. a.): es handle<br />
sich ursprünglich um ein Textbuch für eine (heidnische) Hochzeit von Gott und Göttin wie<br />
aus sumerischen Texten und dem Ischtar-Tammuzkult bekannt. Diese Deutungen werden von<br />
der heutigen Forschung als unbefriedigend abgelehnt, sexuell geprägte Bilder werden im AT<br />
sonst nicht auf Jahwe bezogen. Heute gilt allgemein die Deutung c) daß das Hohelied eine<br />
Sammlung von ursprünglich rein profanen Liebesliedern darstellt.<br />
Als Gründe, warum das Hohelied dann überhaupt in den Kanon des AT gekommen ist, werden<br />
erwogen: a) weil die irdische Liebe überhaupt im AT nicht geringgeschätzt wird, b) weil<br />
das Hohelied im Kontext des AT eine neue (schöpfungs-)theologische Sinndimension gewinnt,<br />
c) weil das Hohelied Salomo zugeschrieben wurde.