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Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick

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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 90<br />

übernommen hat. Dieser Lehre setzt der Verfasser des Kolosserbriefes die streng christozentrische<br />

Position eines solus Christus entgegen.<br />

Erster Thessalonicherbrief<br />

Gliederung: 1,1 Präskript; 1,2 – 3,13 erster Hauptteil über die Bewährung der Gemeinde; 4,1<br />

– 5,11 zweiter Hauptteil über Heiligung und Auferstehung; 5,12-28 Briefschluß.<br />

Verfasser: Paulus. Adressat: die von Paulus kurz zuvor in Thessalonich gegründete Gemeinde.<br />

Abfassungsort und –zeit: die Erwähnung von Silvanus und Timotheus (1,1), die Paulus in<br />

Korinth traf (Apg. 18,5), legt nahe, daß der erste Thessalonicherbrief während des Aufenthaltes<br />

des Paulus in Korinth 50 n. Chr. geschrieben wurde. Textgestalt: Die sehr antijüdischen<br />

Verse 2,14-16 (mit der schlimmen Verunglimpfung „die haben den Herrn Jesus getötet und<br />

sind allen Menschen feind“) werden vielfach als nachpaulinische Interpolation angesehen.<br />

Selbst wenn sie doch ein frühes Stadium im Denken des Paulus repräsentieren sollten (so T.<br />

Holtz, U. Schnelle), müßte er aufgrund seiner viel positiveren Überlegungen in Römer 9 – 11<br />

die extreme Einstellung aus 1. Thess. 2,14-16 später wieder revidiert haben. Hier befremdet<br />

besonders die pauschale Unterstellung von Bosheit („allen Menschen feind“); wie sehr solche<br />

Verallgemeinerungen fehlgehen, zeigt sich auch daran, daß der römische Historiker Tacitus<br />

seinerseits den Christen „Haß auf das Menschengeschlecht“ (odium generis humani, Ann. XV<br />

44) unterstellte (vermutlich weil die Christen den Brand Roms 64 n. Chr. als vermeintlichen<br />

Vorboten der Wiederkunft Christi freudig begrüßten, was ihnen dann als Misanthropismus<br />

und als Indiz für eine durch sie verursachte Brandstiftung ausgelegt worden sein muß).<br />

Inhalt: Der erste Thessalonicherbrief ist der älteste Paulusbrief. Einige typische Lehren des<br />

späteren Paulus lassen sich hier noch nicht finden (Rechtfertigungslehre, Kreuzestheologie).<br />

Die Basis der Theologie des ersten Thessalonicherbriefes wird gebildet von der Erwählungsvorstellung<br />

(1,4; 2,12; 4,7; 5,9.24) und der als bald bevorstehend erwarteten Ankunft Christi<br />

(5,1-4). Aus dem Kontext läßt sich entnehmen, daß die Gemeinde in Thessalonich bestürzt<br />

war, daß einige Gemeindemitglieder gestorben waren; man hatte damit gerechnet, daß alle<br />

noch zu ihren Lebzeiten die Wiederkunft Christi erleben würden. Paulus antwortet, indem er<br />

die Gemeinde über seine Auferstehungslehre informiert (4,13-18), sie war der Gemeinde also<br />

offenbar noch nicht bekannt. Paulus glaubte aber weiter irrtümlich, daß er selbst und die übrigen<br />

Gemeindemitglieder bis zur Parusie leben würden (4,15). Aus ihrer ekstatischen Naherwartung<br />

heraus wurde in der Gemeinde offenbar sexuelle Promiskuität praktiziert, wogegen<br />

Paulus einwendet, daß jeder Unzucht meiden solle und versuchen solle, seine eigene Frau zu<br />

gewinnen (4,3-5). Die Gemeinde soll alles tun, daß sie bei der Ankunft Christi in Heiligkeit<br />

angetroffen wird (3,13; 4,3f.7; 5,23).<br />

Zweiter Thessalonicherbrief<br />

Gliederung: 1,1f. Präskript; 1,3 – 2,14 erster Hauptteil mit Danksagung und Belehrung über<br />

die Parusie; 2,15 – 3,15 zweiter Hauptteil mit Mahnungen; 3,16-18 Briefschluß.<br />

Verfasser: Wortgebrauch, Stil und Gedankenführung weichen im zweiten Thessalonicherbrief<br />

charakteristisch von den echten Paulusbriefen ab, so daß die Mehrzahl der Exegeten den Brief<br />

für deuteropaulinisch hält. Abfassungszeit: Die behandelte Problematik der Parusieverzögerung<br />

weist auf das Ende des 1. Jhs. n. Chr., der Abfassungsort ist nicht sicher zu benennen<br />

(Kleinasien oder Makedonien). Quellen: W. Wrede wies 1903 in einer minutiösen und bis<br />

heute maßgeblichen Untersuchung nach, daß der zweite Thessalonicherbrief den ersten Thessalonicherbrief<br />

als literarische Vorlage benutzt und nachgebildet hat (ein Verfahren, das ebenfalls<br />

ein Indiz für die Unechtheit des zweiten Thessalonicherbriefes ist).<br />

Die Intention des zweiten Thessalonicherbriefes besteht darin, eine falsche Interpretation der<br />

Eschatologie des ersten Thessalonicherbriefes zu korrigieren: offensichtlich waren in der Gemeinde<br />

von Thessalonich enthusiastische urchristliche Propheten aufgetreten, die unter Hinweis<br />

auf einen Paulusbrief (2,2; dies war zweifellos der erste Thessalonicherbrief) behaupte-

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