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Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick

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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 7<br />

Im Laufe der Zeit sanken die nach Ägypten eingewanderten israelischen Nomaden zu einem<br />

Sklavenvolk herab, das beim Bau der „Vorratsstädte“ Pitom und Ramses Fronarbeit leisten<br />

mußte (Ex. 1,11). Diese Angabe führt in das 13. Jh. v. Chr., als Ramses II. (ca. 1290 – 1223)<br />

im Ostdelta am Nordostrand seines Reiches eine neue Hauptstadt errichten ließ. Sicher falsch<br />

ist also die Angabe von 1. Kön. 6,1, daß der Auszug aus Ägypten 480 Jahre vor dem Tempelbau<br />

stattfand, was 1440 v. Chr. ergeben würde (480 = 12 x 40 ist eine rein symbolische Zahl,<br />

sie besteht aus dem Produkt der zwölf Stämme Israels mit den 40 Wüstenwanderungsjahren).<br />

Der Auszug kann wie erwähnt frühestens unter Ramses II. stattgefunden haben oder unter<br />

seinen Nachfolgern Merenptah (1224 – 1204) und Sethos II. (1200 – 1194). Die erste außerbiblische<br />

Erwähnung des Volkes Israel findet sich auf einer 1896 in der thebanischen Totenstadt<br />

entdeckten Stele aus dem 5. Regierungsjahr des Pharao Merenptah (= 1219 v. Chr.).<br />

Dort heißt es in einem Siegeslied über die Libyer und die Bewohner Palästinas: „Israel liegt<br />

brach und hat kein Saatkorn“. Daraus ist jedoch nur zu entnehmen, daß es 1219 v. Chr. in<br />

Palästina bereits eine Menschengruppe gab, die sich Israel nannte; mit der aus Ägypten ausgewanderten<br />

Stammesgruppe muß diese nicht identisch sein, wir erhalten also keinen sicheren<br />

Terminus ante quem für den Exodus.<br />

Anführer der um 1225/1200 v. Chr. auswandernden israelischen Stammesgruppe war der<br />

stark assimilierte Moses. Dessen Namensdeutung „aus dem Wasser gezogen“ (Ex. 2,10) ist<br />

eine Volksetymologie, tatsächlich ist der Name Moses ägyptisch und heißt „... hat gezeugt“<br />

(wie z. B. beim Namen Tutmosis, welcher bedeutet „[Gott] Tut hat [mich] gezeugt“); nur ist<br />

im Namen Moses das vorangegangene theophore Element weggebrochen. Auf der Flucht vor<br />

den Ägyptern wurde die „Moseschar“ am Schilfmeer vielleicht durch ein Naturwunder gerettet;<br />

nach der ältesten Überlieferungsschicht (Jahwist-Quelle, Ex. 14,21aβ) trocknete das Meer<br />

über Nacht durch einen starken Ostwind aus; erst in der späteren Tradition (Priesterschrift,<br />

Ex. 14,22) soll sich das Wasser wie eine Mauer zur Rechten und zur Linken geteilt haben.<br />

Von dem Auszug aus Ägypten ursprünglich unabhängig war die Sinai-Tradition, derzufolge<br />

das Volk Israel an einem Gottesberg die endgültige Bindung an Jahwe vollzogen habe: denn<br />

in zahlreichen <strong>Bibel</strong>texten, die die klassische Heilszeit Israels vom Exodus bis zur Landnahme<br />

rekapitulieren, fehlt der Gottesberg (Dtn. 6,20-24; 26,5-9; Ex. 15; Jos. 24,2-13; Ps. 78;<br />

105; 135f. u. a.). Im Jahwisten und der Priesterschrift heißt dieser Gottesberg Sinai, beim Elohisten<br />

und Deuteronomisten Horeb (dieses Wort bedeutet „öde, wüst“ und wurde erst sekundär<br />

zum Bergnamen); in der späteren Überlieferung (Schriftpropheten) tritt der Gottesberg gar<br />

nicht mehr auf, es herrscht „Sinaischweigen“. Der Sinaibericht (Ex. 18 – 20; 24; 32 – 34) hat<br />

eine komplizierte Textgeschichte, was man auch an der Tatsache sieht, daß Mose den Berg<br />

mindestens sechsmal besteigen muß, um dann immer zum Volk zurückzukehren und Jahwes<br />

Worte zu berichten (Ex. 19,3.7.8.14.20.25; 24,9.13; 32,15.31; 34,29). Lokalisierungsversuche<br />

des Sinai konnten nicht überzeugen, man kann z. B. aus der Erwähnung von Rauch, Feuer<br />

und Erdbeben in Ex. 19,18 nicht schließen, daß der Gottesberg im vulkanischen Nordwestarabien<br />

gelegen habe und nicht auf der Sinaihalbinsel (wo es in historischer Zeit keine Vulkane<br />

gegeben hat), denn Rauch, Feuer usw. sind traditionelle Topoi für eine Theophanieschilderung.<br />

Als historischer Kern der Sinaiüberlieferung läßt sich allein ausmachen: eine Menschengruppe,<br />

die später in Israel aufging (Teile der Lea- oder der Rahelstämme?) – jedenfalls<br />

wohl nicht die aus Ägypten Ausgezogenen – haben den Glauben an den Jahwe-Gott an einem<br />

Berg angenommen.<br />

Etwa um die Wende von der Spätbronze- zur Eisenzeit vollzog sich die Landnahme der Israeliten<br />

in Palästina (12. Jh.), und zwar nicht als kriegerische Aktion unter Josuas Leitung, sondern<br />

als langsames Einströmen von Süden (Lea-Stämme: Ruben, Simeon, Levi, Juda, Issachar,<br />

Sebulon) und von Osten (Rahel-Stämme: Joseph [später geteilt in Ephraim, Manasse],<br />

Benjamin; wohl auch die Mägde-Stämme: Dan, Naphtali bzw. Gad, Ascher). Die israelische<br />

Landnahme wurde dadurch begünstigt, daß im Zuge des Seevölkersturms im syrisch-palästinensischen<br />

Gebiet zwischen den alten Stromkulturen (Ägypten und Mesopotamien) eine

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