Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick
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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 38<br />
c) Die Propheten<br />
Prophet (grch. „Sprecher [Gottes]“, hebr. nabi): ein Empfänger und Verkünder von göttlichen<br />
Offenbarungen, eher ein „Hervorsager“ (C. Kuhl) als ein Vorhersager. Ein Prophet hört Stimmen<br />
(Audition) oder sieht Gesichte (Vision), die ihm zur Anrede Gottes werden. Im 2. Jahrtausend<br />
v. Chr. wird die Prophetie in Mesopotamien und Syrien/Phönikien historisch faßbar.<br />
Das AT enthält 16 Schriftpropheten, die man Kritiker und Visionäre mit dem Anspruch der<br />
Gottunmittelbarkeit nennen kann. Ihre Worte wurden in eigenen, nach diesen Propheten benannten<br />
Büchern gesammelt; die schriftlosen Propheten erscheinen im Gegensatz dazu in anderen<br />
Büchern eingestreut. Beide Arten von Propheten wirkten ursprünglich in mündlicher<br />
Verkündigung; auch die Worte der „Schrift“-propheten wurden erst nachträglich schriftlich<br />
fixiert. Dabei kam oft redaktionelles Textgut hinzu (das insofern „unecht“ ist, als es nicht von<br />
den Propheten selbst stammt). Das muß aber den Inhalt nicht abwerten, nur sollte man die<br />
verschiedenen Intentionen beachten; redaktionelle Zusätze wollen z. B. oft aktualisieren. Nur<br />
von wenigen Schriftpropheten wird berichtet, daß sie selbst Anteil an der Aufzeichnung ihrer<br />
Worte hatten, so Protojesaja (Jes. 8,1ff.), Jeremia (Jer. 36) und Habakuk (Hab. 2,2).<br />
Die Unterteilung in vier große (Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Daniel) und zwölf kleine Propheten<br />
geht allein vom Umfang der Schriften aus; der Name „kleine Propheten“ stammt von Augustinus<br />
(De civitate Dei XVIII 29). Die kleinen Propheten bilden in der hebräischen <strong>Bibel</strong> ursprünglich<br />
nur ein einziges Buch mit 65 Kapiteln (das „Dodekapropheton“, grch. „Zwölfprophetenbuch“);<br />
in der LXX steht dieses noch vor den großen Propheten. Die LXX bietet auch<br />
eine andere Reihenfolge der „kleinen Propheten“ als die hebräische <strong>Bibel</strong> (hebr. <strong>Bibel</strong>, Vulgata,<br />
Lutherbibel: Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai,<br />
Sacharja, Maleachi; LXX: Hosea, Amos, Micha, Joel, Obadja, Jona, Nahum, dann weiter wie<br />
in der hebräischen <strong>Bibel</strong>).<br />
Wie durch die Herkunft aus mündlicher Rede plausibel, bestehen die Schriftprophetenbücher<br />
vielfach aus Aneinanderreihungen von Einzelworten (oft nur ein bis zwei Verse umfassend).<br />
Deren Zusammenstellung erfolgte nach thematischen oder chronologischen Gesichtspunkten<br />
oder in Stichworttechnik. Hierbei zeigt sich die Tendenz: Die späteren Schriftpropheten bestehen<br />
aus größeren Einheiten und geben Visionen mehr Raum als die früheren.<br />
Prophetische Worte können eingeleitet oder abgeschlossen werden durch: die Botenformel<br />
(„so spricht der Herr“), die Seherspruchformel („... ist Spruch Jahwes“, „denn Jahwe hat es<br />
geredet“) die Wortereignisformel („es geschah das Wort Jahwes zu ...“) und den Aufmerksamkeitsruf<br />
(auch: Lehreröffnungsruf, „höret [, merket auf]“). Prophetische Verkündigung<br />
erfolgt in folgenden eigentlich prophetischen Textgattungen: Gerichtsworte, Ankündigungen<br />
(auch: Drohworte oder Weissagungen), Begründungen des Gerichtswortes (auch: Scheltworte<br />
oder Lagehinweise) sowie Heilsworte. Aus anderen Bereichen entlehnte Gattungen sind vor<br />
allem: Mahnworte (mit imperativischer Aufforderung, aus der Weisheitsliteratur), Weherufe<br />
(aus der Totenklage, ein mit dem Weheruf Bedachter wird als todverfallen gekennzeichnet),<br />
Liturgie (Jes. 33, Jer. 14, Mi. 7,8-20), Diskussionsworte (z. B. bei Maleachi, siehe dort). Zudem<br />
ist prophetische Rede durchweg poetisch und metrisch geformt.<br />
Propheten wirken nicht nur mit Worten, sondern auch in Zeichenhandlungen, wie zum Beispiel:<br />
Ahia von Silo zerreißt seinen Mantel (1. Kön. 11: Ankündigung der Reichsteilung),<br />
Jesaja geht nackt (Jes. 20: Ankündigung der assyrischen Eroberung Ägyptens), Hosea heiratet<br />
die Hure Gomer und gibt den Kindern Symbolnamen (Hos. 1: Anspielung auf die Untreue<br />
Israels in der Jahweverehrung), Jeremia trägt ein Joch (Jer. 27/28: Ankündigung des Joches<br />
der babylonischen Fremdherrschaft).<br />
Die Propheten des AT standen oft in Konkurrenz zu sog. „falschen Propheten“, doch sind im<br />
AT die Unterscheidungskriterien für wahre und falsche Prophetie nicht einheitlich: Meist<br />
wird davon ausgegangen, daß die Weissagungen der falschen Propheten erlogen sind und<br />
nicht eintreffen (vgl. Dtn. 18,21f.; 1. Kön. 13: nicht der Lügenprophet, sondern der Getäusch-