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Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick

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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 79<br />

storben (vgl. Mk. 10,35-40), das Joh.Ev. ist aber mit Sicherheit noch nicht in der Zeit des Urchristentums<br />

entstanden. Für die Verfasserfrage wenig ergiebig ist auch eine im Joh.Ev. erwähnte<br />

namenlose Lieblingsjüngergestalt, die im Nachtrag (21,24) als Verfasser des Evangeliums<br />

ausgegeben wird. Die Lieblingsjüngergestalt diente als Legitimationsfigur für jene<br />

Schule mit Traditions- und Lehrbetrieb und eigener Theologie, aus der das Joh.Ev. hervorgegangen<br />

ist, ohne daß sich die wahren Verfasser noch namhaft machen ließen.<br />

Abfassungort und –zeit: um 90 – 100 n. Chr. wahrscheinlich in Kleinasien oder Syrien. Terminus<br />

post quem ist die Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. (vgl. Joh. 11,48) und der um 80 n.<br />

Chr. erfolgte Synagogenausschluß der Judenchristen, auf den in Joh. 9,22; 12,42; 16,2 zurückgeblickt<br />

wird; deshalb kann auch K. Bergers 1997 versuchte Frühdatierung auf 68/69 n.<br />

Chr. nicht überzeugen. Die Distanz zu Palästina ergibt sich aus der Erklärung jüdischer Bräuche<br />

(2,6; 11,55; 18,20.28b; 19,40b), der Übersetzung aramäischer Begriffe (1,38.41f.; 5,2;<br />

9,7; 11,16; 19,13.17; 20,16.24) und aus der pauschalen Bezeichnung „die Juden“. Speziell für<br />

Kleinasien (Ephesus) spricht die altkirchliche Tradition bei Papias, die antidoketische Ausrichtung<br />

des Joh.Ev. (der Doketismus leugnete das menschliche Sein des Erlösers) und die<br />

Nähe johanneischer und paulinischer Theologie (Sendung des präexistenten Gottessohnes,<br />

Jesu Tod als Selbsthingabe aus Liebe).<br />

Entstehung, Redaktionen:<br />

1) Es lassen sich drei Quellen des Joh.Ev. ausmachen: eine Vorlage für den Prolog (Logoshymnus)<br />

1,1-18, eine Semeiaquelle (Zeichenquelle), aus der die sieben im Joh.Ev. berichteten<br />

Wunder Jesu stammen, und eine Quelle für den Passionsbericht. Wenn man von letzterem die<br />

redaktionellen Zusätze abhebt (18,4-9.13b.14.15b.16.19b-21.23.24.28b.29.32-38a; 19,4f.7-11.<br />

20-22.23a.26-28a), ergibt sich ein dem synoptischen sehr ähnlicher Bericht; wahrscheinlich<br />

handelte es sich um eine alte, von Markus noch unabhängige Passionsdarstellung. R. Bultmanns<br />

Annahme einer weiteren Quelle für die johanneischen Jesus-Reden, die aus einer<br />

Sammlung vorchristlicher gnostischer Offenbarungsreden entnommen seien, fand in der Forschung<br />

keine Bestätigung.<br />

2) Aus den drei genannten Quellen formte die johanneische Schule ein Evangelium, dessen<br />

christologisches Darstellungsziel die zunehmend deutlichere Selbstoffenbarung Jesu ist. Als<br />

Stilmittel wird u. a. eine Technik des Mißverständnisses verwendet, bei welcher metaphorische<br />

Äußerungen Jesu von seiner Umgebung wörtlich genommen werden; damit illustriert der<br />

Johannesevangelist, daß nur der Glaube erkennen könne, wer Jesus wirklich sei.<br />

Wichtigstes Merkmal der johanneischen Theologie ist die präsentische Eschatologie: die Entscheidung<br />

für ewiges Leben oder Tod findet bereits jetzt in der Gegenwart statt mit der Entscheidung<br />

für oder gegen Jesus. Weiter fallen der Licht-Finsternis-Dualismus und die Identität<br />

von Offenbarung und Offenbarer auf, die in den sieben Ich-bin-Worten besonders deutlich<br />

hervortritt (6,35: Brot des Lebens; 8,12: Licht der Welt; 10,9: Tür; 10,12: guter Hirte; 11,25:<br />

Auferstehung und das Leben; 14,6: Weg, Wahrheit und das Leben; 15,5: Weinstock).<br />

3) Eine kirchliche bzw. postevangelistische Redaktion korrigierte anschließend die präsentische<br />

Eschatologie im Sinne einer futurischen Apokalyptik (5,24-30; 6,38-40; 12,48). Sie dürfte<br />

auch aus ekklesiologischem Interesse die Abschiedsreden in das Passionsgeschehen eingefügt<br />

haben (Kap. *14 – 17, ursprünglich schloß 14,31 an 18,1 an) und zur Änderung der<br />

Chronologie die Kapitel 5 und 6 vertauscht haben (die ursprüngliche Abfolge war vermutlich<br />

4.6.5.7). Das Nachtragskapitel 21 entstand in zwei Phasen: die Autorität der Griechenapostel<br />

und bisher wichtigsten Jünger im Joh.Ev., Andreas und Philippus (laut Joh. 1,41 wäre Petrus<br />

gegen Mk. 1,16 nicht einmal der Erstberufene gewesen, sondern erst von Andreas zu Jesus<br />

gebracht worden), wurde ersetzt durch die synoptische Führungsgruppe, Petrus und die Zebedäussöhne<br />

(Joh. 21,1-17, mit der Primatsverheißung an Petrus). Eine zweite, gegenläufige<br />

Bearbeitung durch die Kirche des Johannesevangeliums fügte den Lieblingsjünger ein und<br />

erklärte ihn – zur Abwehr der durch Petrus dargestellten großkirchlichen Ansprüche – zur<br />

letztgültigen Autorität (21,18-24).

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