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Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick

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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 65<br />

chenden Evangelienstellen liege überall nachösterliche Gemeindebildung vor. Zwar redete<br />

der historische Jesus Gott als „Abba“ (Vater) an, was im „Vaterunser“ (Mt. 6,9-13) am<br />

prominentesten zum Ausdruck kommt, doch sah er sich deshalb nicht in einem exklusiven<br />

Vater-Sohn-Verhältnis: z. B. werden nach der Seligpreisung Jesu Mt. 5,9 allgemein diejenigen,<br />

die Frieden stiften, „Söhne Gottes“ heißen (grch. hyioi theou, Luthers Übersetzung<br />

„Kinder Gottes“ ist unpräzise). Unhistorisch ist auch die von Jesus angeblich bejahte Frage<br />

des Hohepriesters vor dem Synhedrium „Bist du Christus, der Sohn Gottes?“ (Mark. 14,61<br />

et par.) Diese Frage setzt voraus, daß Christus/Messias und Gottessohn zwei letztlich identische<br />

Bezeichnungen seien – doch ist dieser Sprachgebrauch dem Judentum fremd und im<br />

Munde eines Hohepriesters undenkbar. Daß Jesus sich selbst nicht als Messias bezeichnet<br />

haben kann, folgt auch daraus, daß er der traditionellen jüdischen Messiasidee (der Messias<br />

als politischer Einiger und Befreier Israels) nicht gerecht wurde – daher wäre zumindest zu<br />

erwarten, daß er dem alten Messiasbild seine eigene Vorstellung entgegengesetzt hätte,<br />

doch dazu findet sich in den Evangelien gar nichts. Es verbleibt nur der (aus Daniel 7,13<br />

entlehnte) Ausdruck „Menschensohn“ als einziger Hoheitstitel, bei dem vielleicht in Betracht<br />

kommt, daß Jesus ihn als Selbstbezeichnung verwendet haben könnte, doch ist auch<br />

das fraglich und umstritten. Weiter wird diskutiert, ob der historische Jesus sich mit dem<br />

stellvertretend leidenden Gottesknecht aus Jesaja 53 identifiziert hat, so nimmt Albert<br />

Schweitzer an, der historische Jesus sei in dem Bewußtsein in den Tod gegangen, daß<br />

durch sein Leiden die Schrecken der bald erwarteten Endzeit verkürzt würden.<br />

Ansonsten ist für das Selbstbewußtsein Jesu bezeichnend, daß er sich zu Beginn seines<br />

Auftretens von dem Wüstenprediger Johannes im Jordan taufen ließ, und dessen Taufe war<br />

ausdrücklich eine Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden (Matth. 3,6; Mark. 1,4; Luk.<br />

3,3). Der historische Jesus scheint also ein Sündenbewußtsein besessen zu haben, und offenbar<br />

genau daran sich störend, legt der Johannesevangelist dem Täufer die Worte in den<br />

Mund „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“ (Joh. 1,29), so als habe Jesus<br />

mit seiner Taufe im Jordan nicht seine eigenen, sondern die Sünden der Welt tilgen<br />

wollen. Jesu Taufe im Jordan war dem frühen Christentum auch deshalb unangenehm, weil<br />

Jesus damit nicht von Anfang an aus eigener Vollmacht handelte, sondern sich zunächst in<br />

der Jüngerschaft eines anderen befand. Zur Aufwertung Jesu findet sich deshalb schon bei<br />

Markus die Legende, daß bei der Taufe Jesu eine Stimme vom Himmel gekommen sei, die<br />

Jesus als „mein lieber Sohn“ bezeichnete (Mark. 1,11 et par.). Wäre das historisch, hätte<br />

Johannes der Täufer sicherlich nicht später bei Jesus anfragen lassen müssen, ob Jesus derjenige<br />

sei, „der da kommen soll“ oder ob man auf einen anderen warten müsse (Matth.<br />

11,3; Luk. 7,19) – und in seiner Antwort auf diese Anfrage verweist Jesus übrigens nur auf<br />

seine Heilungserfolge, was Albert Schweitzer als eine ausweichende Antwort wertet.<br />

Für Juden war und ist Jesus aus drei Gründen nicht als Messias akzeptabel: 1. er hatte Israel<br />

nicht aus römischer Unterdrückung befreit, hatte damit nicht die zentrale Aufgabe des<br />

Messias erfüllt und nicht auf Erden ein messianisches Friedensreich errichtet; 2. als sündenvergebender<br />

Heiland, der aus paulinischer Sicht die Tora ersetzt, konnte Jesus für gesetzestreue<br />

Juden nur ein Ärgernis sein; 3. daß Jesus nach der Trinitätslehre mit Gott und<br />

dem Heiligen Geist eine Einheit bilden sollte, daß er nach der Inkarnationslehre er der<br />

fleischgewordene Sohn Gottes sein sollte, mußte von gläubigen Juden als Abfall vom monotheistischen<br />

Glauben gewertet werden (zu diesem Abschnitt vgl. Nathan <strong>Peter</strong> Levinson,<br />

Der Messias, Stuttgart 1994, S. 42).<br />

4. Lehre und Wandel: Jesus arbeitete nicht, sondern zog, von Gönnern und reichen Frauen<br />

unterhalten, als Wanderprediger über das Land (vgl. Mt. 6,28; Lukas 8,2f.). Im Zentrum<br />

seiner Botschaft stand die Gottesherrschaft (grch. basileia tou theou). Es war lange umstritten,<br />

ob Jesus diese als etwas Gegenwärtiges, bereits Realisiertes ansah (C. H. Dodd) oder<br />

als etwas rein Zukünftiges (A. Schweitzer). Heute ist anerkannt, daß Jesus die Gottesherrschaft<br />

als etwas wesentlich Zukünftiges sah (vgl. Mark 1,15; Matth. 10,7; da sie trotz der

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