Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick
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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 74<br />
ginal kein „und“, sondern Beiordnung, sog. Parallelismus membrorum, gemeint ist natürlich<br />
nur ein Tier); der Matthäusevangelist hat nun, dem falschen Zitat folgend, kurzerhand seine<br />
Markusvorlage abgeändert und läßt Jesus auf zwei Eseln (zugleich?) in Jerusalem einreiten.<br />
(Zudem dürfte schon bei Markus, auch wenn er noch nicht explizit auf das AT verweist, die<br />
ganze Episode aus Sacharja herausgesponnen sein.)<br />
Typisch für den Stil des Matthäusevangeliums ist die Abfolge von Erzähl- und Redeteilen.<br />
Aus dem Material aller drei Quellengruppen hat der Matthäusevangelist sechs große Reden<br />
zusammengestellt: die Bergpredigt (5 – 7), die Aussendungsrede (10), die Gleichnisrede (13),<br />
die Gemeindeordnung (18), die Pharisäerrede (23) und die Rede über die letzten Dinge (24f.).<br />
Alle diese Reden wurden in dieser Form nie vom historischen Jesus gehalten und sind Komposition<br />
des Evangelisten. Gemäß dem jüdischen Streben um Vermeidung des Gottesnamens<br />
hat der Matthäusevangelist den Begriff „Gottesreich“ durch „Reich der Himmel“ ersetzt (vgl.<br />
z. B. Mark. 1,15 mit Matth. 4,17). Einer seiner Lieblingsausdrücke ist die Formel „Heulen<br />
und Zähneklappern“, die er aus Q übernommen hat (Matth. 8,12 = Luk. 13,28) und dann noch<br />
mehrfach selbst in den Text getragen hat (13,42.50; 22,13; 24,51; 25,30).<br />
Theologie: Der Missionsbefehl (28,16-20, teils Gemeindetradition, teils redaktionelle Arbeit<br />
des Evangelisten) ist der hermeneutische Schlüssel zum Verständnis des Gesamtwerkes. Die<br />
Vollmacht des Auferstandenen ermächtigt die Jünger und damit die matthäische Gemeinde,<br />
unter den Völkern zu missionieren. Gottes Heilsplan richtet sich an die gesamte Welt (zum<br />
Heilsuniversalismus vgl. auch 10,18; 24,14; 26,13). Der im Alten Testament manifeste Gotteswille<br />
kommt in Jesus zum Ziel (Reflexionszitate, s. o.). Jesu Lehre ist die bindende Auslegung<br />
des Willens Gottes. In der Bergpredigt beansprucht der matthäische Jesus zum Teil gegen<br />
den Wortlaut der Tora, deren ursprüngliche Intention wieder freizulegen und eine „bessere<br />
Gerechtigkeit“ zu ermöglichen (5,20). Das absolute Schwurverbot (5,33-37) und das absolute<br />
Gebot der Feindesliebe (5,43-48) sprengen alttestamentlich-jüdisches bzw. zeitgenössisches<br />
Denken vollkommen. Die Frage nach der (zeitlosen) Erfüllbarkeit der Forderungen der<br />
Bergpredigt ist in der Forschung heftig umstritten. Die traditionelle katholische Ethik hat den<br />
Text gegen sich, wenn sie zwischen den Geboten des Dekalogs und den (angeblich auf einer<br />
höheren Stufe stehenden) Ratschlägen der Bergpredigt unterscheidet: die Bergpredigt richtet<br />
sich an alle Menschen und fordert nicht zusätzliche Leistung, sondern erklärt den schon immer<br />
gemeinten Sinn alttestamentlichen Gebotes. Albert Schweitzer kam zu der Deutung, daß<br />
die Gebote der Bergpredigt durchaus als erfüllbar gedacht seien – aber das in der vermeintlich<br />
nur noch kurzen Zeitspanne bis zum Weltgericht („Interimsethik“).<br />
Der Matthäusevangelist moralisiert gern, z. B. läßt er Jesus die geistlich Armen und die nach<br />
Gerechtigkeit Hungernden selig preisen (5,3.6); der Vergleich mit der quellentreueren Lukasfassung<br />
zeigt jedoch, daß Jesus in Wirklichkeit die materiell Armen und die physisch Hungernden<br />
selig gepriesen hatte (Luk. 6,20f.). Das „Felswort“ an Petrus (Matth. 16,17-19) ist<br />
nachösterlichen Ursprungs (ähnlich wie der auch zur Begründung des Petrus-Primates herangezogene<br />
Vers Joh. 21,15-17); in Matth. 16,18 verrät schon die Verwendung des synoptisch<br />
nur noch in Matth. 18,19 belegten Wortes ekklesia die späte Gemeindebildung, hinter der das<br />
Interesse an einer dauerhaften Kirche und vollmächtigen Gemeindeleitern steht. Im Mt.Ev.<br />
steht die Heilszusage (der Heilsindikativ) vor der Forderung (dem ethischen Imperativ), vgl.<br />
den „Heilandsruf“ (11,28-30): Jesus bietet zunächst Erquickung und fordert dann das Tragen<br />
des Joches; ähnlich steht im Missionsbefehl (28,19f.) die Taufe vor der Lehre. Für die matthäische<br />
Ethik ist das Liebesgebot (vgl. 19,19; 22,34-40) und das Tun des Willens Gottes entscheidend<br />
(vgl. 7,21; 12,50; 21,31), die Gemeinde soll nicht in der Liebe erkalten (vgl. 24,12).<br />
Lohn- und Strafgedanke und die damit verbundene Gerichtsvorstellung spielen im Matthäusevangelium<br />
eine wichtige Rolle (u. a. 5,12.19; 19,28; 25,21.30). Nach dem Kriterium des<br />
Tuns wird im künftigen Gericht entschieden, wer belohnt und wer verworfen wird (13,36-<br />
43.47-50; 24,42-51).