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Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick

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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 46<br />

Person: Ezechiel war Sohn des Priesters Busi aus einer zadokidischen Jerusalemer Priesterfamilie.<br />

Er gehörte zu denen, die nach der ersten Eroberung Jerusalems 597 v. Chr. nach Babylon<br />

deportiert wurden (Teile der Oberschicht und Handwerker, vgl. 2. Kön. 24,10ff.). Dort<br />

lebte er in der Nähe von Nippur im Ort Tell Abib (hebr. gedeutet „Ährenhügel“, babylon.<br />

gedeutet „Sintfluthügel“; nach diesem Ort wurde die heutige Stadt Tel Aviv in Israel benannt).<br />

In Tell Abib wurde er im 5. Jahr nach der Verbannung Jojachins, also 593 v. Chr.,<br />

zum Propheten berufen (1,1 – 3). Ursprünglich fast ausschließlich Unheilsprophet, wandelte<br />

sich Ezechiel nach 586 v. Chr. zum Propheten der restitutio in integrum, d. h. der kommenden<br />

Wiederherstellung Israels; als deren Träger sah er die judäischen Exulanten an, unter denen er<br />

bis etwa 568 v. Chr. wirkte.<br />

Literarische Eigenart: Das Buch Ezechiel gibt sich als ein lückenloser Ich-Bericht des Propheten,<br />

doch bleibt seine Person hinter der alles beherrschenden Jahwe-Rede verborgen. Bestehen<br />

die älteren Prophetenbücher aus Sammlungen von knappen, selbständigen Einzelworten,<br />

so gibt das Buch Ezechiel größeren Kompositionen Raum. Umfangreiche Visionen bestimmen<br />

das ganze Buch (1,3 – 3,15; 3,22-27; 8 – 11; 37,1-14; 40 – 48). Ebenso bedeutend sind<br />

die Zeichenhandlungen (4f.; 12,1-20; 21,11f.23-37; 24,1-14; 37,15-28), die „als Aufmerksamkeit<br />

erregendes Straßentheater zum besonderen Repertoire Ezechiels gehörten“ (M.<br />

Görg). Ferner bediente sich Ezechiel gerne der Bildreden, von kurzen Gleichnissen bis zu<br />

umfangreichen Allegorien reichend (15 – 17; 19; 21,1-10; 22,17-22; 23; 24,1-14; 26,15-21;<br />

27; 28,11-19; 31; 32). Drastische sexuelle Bildersprache findet sich bes. in Kap. 16 und 23.<br />

Typisch sind schließlich bestimmte Wendungen, so die achtzigmal verwendete sog. Erkenntnisformel<br />

(auch: Erweiswort) „ihr werdet erkennen, daß ich Jahwe bin“ (Ez. 6,7.13f. u. ö.; der<br />

Formelteil „ich bin Jahwe“ wird Selbstvorstellungsformel genannt). Jahwes Anrede an den<br />

Propheten „Menschensohn“ (2,1 u. ö.) soll die Distanz zwischen Gott und Geschöpf betonen;<br />

mit dem Menschensohn von Dan. 7 und dem christologischen Hoheitstitel im NT hat sie<br />

nichts zu tun.<br />

Die Entstehung des Buches Ezechiel wird am besten mit einem Modell der Fortschreibung<br />

(begründet von W. Zimmerli) erklärt. Danach ist ein relativ kleiner originaler Textbestand<br />

von der Schule des Propheten Ezechiel in mehrstufigen Ergänzungen zum jetzigen Text ausgebaut<br />

worden:<br />

- Die das Buch eröffnende Vision ist vielleicht aus zwei Berichten zusammengesetzt (A: 1,3a;<br />

2,3 – 3,11.15; B: 1,1.3b. – 2,2; 3,12-14), die die erste und letzte Vision des Propheten wiedergeben;<br />

in diesem Fall hätte die sog. Thronwagenvision nicht am Anfang, sondern am Ende<br />

von Ezechiels Tätigkeit stattgefunden. Dann müßten auch die Rückverweise auf die Thronwagenvision<br />

in späteren Visionsberichten (3,23; 8,4; 43,3) sekundär sein.<br />

- Ez. 3,17-21; 14,1-10; 18; 33,1-20 heben sich durch die Betonung der Individualverantwortung<br />

und das Angebot der Umkehr vom Kontext ab.<br />

- Die Fremdvölkerverkündigung Kap. 25 – 32 dürfte weitgehend sekundär sein, denn die<br />

Worte dieser Sammlung haben ein eigenes System der Datierung (26,1; 29,1.17; 30,20; 31,1;<br />

32,1.17) und passen auch nicht zur Sendung Ezechiels exklusiv zum Hause Israels. Außerdem<br />

war Ezechiel laut 24,25-27 angeblich bis zum Datum von 33,21f. verstummt, kann also gar<br />

nicht der Sprecher (vgl. 29,21 und 33,21f.) der Fremdvölkerworte Kap. 25 – 32 sein.<br />

- Die in sich komplexe Zweitberufung Ezechiels zum Wächterpropheten (33,1-20) ist redaktionell<br />

zusammengefaßt und in die Berufungsvision nach vorne getragen worden (3,16b-21).<br />

- Das schwierige Phänomen der Stummheit Ezechiels wird von seinem Ursprungsort 33,21f.<br />

sukzessiv nach vorne versetzt und dabei zeitlich ausgedehnt. In 33,21f. reicht sie vom Abend<br />

bis zum Morgen, in 24,25-27 hat sie sich auf die Periode vom Fall der Stadt bis zum Datum<br />

von 33,21 erweitert, in 3,16a.22-27 bezieht sie sich auf den gesamten Zeitraum der Unheilsverkündung<br />

von der Berufung (593 v. Chr.) bis zum Eintreffen der Nachricht vom Fall der<br />

Stadt (585 v. Chr.).

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