Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick
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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 92<br />
Philemonbrief<br />
Gliederung: V. 1-7 Briefanfang (1-3 Präskript, 4-7 Proömium), 8-20 Briefkorpus mit Epilog<br />
(17-20), 21-25 Briefschluß (21 Schlußparänese, 22 apostolische Parusie, 23f. Grüße, 25 Eschatokoll).<br />
Verfasser: Paulus. Abfassungsort und -zeit: Paulus schrieb den Philemonbrief wie den Philipperbrief<br />
in Rom im Gefängnis, möglicherweise nach diesem (U. Schnelle sieht in Phlm. 19<br />
mit seiner Ironie einen Hinweis auf verbesserte Stimmung und Lage des Paulus gegenüber<br />
dem Philipperbrief), etwa um 61 n. Chr. Der Philemonbrief ist kein Privatbrief, da die Adressaten<br />
die gesamte sich im Hause des Philemon versammelnde Gemeinde ist (V. 2).<br />
Inhalt: Der Philemonbrief, die die kürzeste Schrift des Neuen Testamentes (25 Verse wie der<br />
Judasbrief, dabei aber kürzer), ist das Begleitschreiben, mit dem Paulus den Sklaven Onesimus<br />
an seinen Herrn Philemon zurückschickt. Dies illustriert die milden Haftbedingungen des<br />
Paulus, der im Gefängnis Besucher um sich versammeln durfte. Bis vor kurzem wurde angenommen,<br />
daß Onesimus seinem Herrn in Kolossae (vgl. Kol. 4,9) entlaufen sei, doch ist dann<br />
nicht plausibel, warum er nicht irgendwo untertauchte, sondern ausgerechnet bei Paulus im<br />
Gefängnis in Rom erscheint. Deshalb gilt neuerdings, daß Onesimus kein entlaufener Sklave<br />
war, sondern Paulus lediglich als Fürsprecher in einem häuslichen Konflikt aufsuchte (P.<br />
Lampe). Onesimus hatte möglicherweise seinen Herrn bestohlen (V. 18).<br />
Der Philemonbrief ist wegen der darin zum Ausdruck kommenden urchristlichen Haltung<br />
gegenüber der Sklaverei theologisch bedeutsam. Obwohl nach Schätzungen 25 – 50 % der<br />
antiken Gesamtbevölkerung Sklaven waren, äußerte sich Jesus offenbar nie selbst zur Sklavenproblematik.<br />
Paulus tut dies nun in dem Sinne, daß er die Freiheit des Christen als innere<br />
Freiheit definiert, welche nicht die umfassende Aufhebung gesellschaftlicher Ordnungen beabsichtigt.<br />
Unterordnungsverhältnisse sollen durch praktizierte Brüderlichkeit abgemildert<br />
werden: so spricht Paulus die Hoffnung aus, daß der Sklave Onesimus, den er im Gefängnis<br />
zum Christentum bekehrt hat, fortan im Hause des Philemon als gleichgestellter christlicher<br />
Bruder behandelt werden möge (V. 16f.). Im übrigen hegte Paulus die nicht uneigennützige<br />
Hoffnung, daß Philemon ihm den Onesimus als Mitarbeiter wieder ins Gefängnis zurückschicken<br />
werde (V. 13f.).<br />
Erster Petrusbrief<br />
Gliederung: 1,1-12 Briefanfang; 1,13 – 2,10 das neue Leben der Christen; 2,11 – 3,12 sozialethischer<br />
Pflichtkatalog („Haustafel“) für das Verhalten in der Welt; 3,13 – 4,19 Bereitschaft<br />
zum Leiden; 5,1-14 Briefschluß.<br />
Verfasser: Gegen die in 1,1 behauptete petrinische Verfasserschaft spricht das auf einen Muttersprachler<br />
weisende gehobene Griechisch. Zudem fehlen im gesamten Brief die Primärkenntnisse<br />
eines Augenzeugen des Lebens Jesu. Auch dürfte sich der echte Petrus kaum mit<br />
dem innerhalb der urchristlichen Ekklesiologie späten Titel „Mitältester“ (sympresbyteros,<br />
5,1) bezeichnet haben. Auch die paulinische Theologie (siehe unten) spricht gegen Petrus als<br />
Verfasser.<br />
Abfassungsort und –zeit: Der erste Petrusbrief will in Rom geschrieben sein (5,13; Babylon<br />
als Chiffre für Rom), doch spricht die Adressatenbezogenheit (1,1) eher für Kleinasien als<br />
Abfassungsort. Die Datierung um 90 n. Chr. wird durch die beschriebene mehr als nur lokale<br />
Verfolgungssituation (4,12ff.) nahegelegt, die in die Spätzeit Domitians weist, ebenso durch<br />
die Trennungslinie nicht etwa zwischen Juden- und Heidenchristen, sondern zwischen Christen<br />
und heidnischer Umwelt, die eine spätere Phase der Missionsgeschichte voraussetzt.<br />
Quellen: Der erste Petrusbrief greift wohl liturgische Traditionen auf (1,18-21; 2,21-25; 3,18-<br />
22). Die ältere Forschung (R. Perdelwitz) glaubte sogar, in 1,3 – 4,11, also fast dem gesamten<br />
Briefcorpus, eine Taufansprache erkennen zu können, doch geht die heutige Forschung wieder<br />
von der literarischen Einheit aus, der Vers 4,12 sei nicht zwingend eine literarische Nahtstelle.<br />
Unverkennbar steht der erste Petrusbrief aber im Einflußbereich paulinischer Theologie