Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick
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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 94<br />
Erster Johannesbrief<br />
Gliederung: 1,1-4 Prolog vom Wort; 1,5 – 2,17 Paränese zu Sünde und Bruderliebe; 2,18-27<br />
Dogmatik: Leugnung Jesu als Christus durch die Widerchristen; 2,28 – 3,24 Paränese: das<br />
Kommen des Herrn und das Halten der Gebote; 4,1-6 Dogmatik: der Geist der Wahrheit und<br />
der Geist des Irrtums; 4,7 – 5,4a Paränese: Gottesliebe verpflichtet zu Bruderliebe; 5,4b-12<br />
Dogmatik: das Zeugnis von Wasser, Blut und Geist; 5,13-21: Epilog: die Macht des Geistes.<br />
Verfasser: Der Verfasser des Johannesbriefes gibt sich nicht namentlich zu erkennen. Dies<br />
spricht gegen seine Identifikation mit dem namentlich genannten Verfasser „Presbyter Johannes“<br />
des zweiten und dritten Johannesbriefes; im Gegensatz zu diesen ist der erste Johannesbrief<br />
außerdem kein stilgerechter antiker Brief.<br />
Auch mit dem Verfasser des Johannesevangeliums kann der Autor des ersten Johannesbriefes<br />
trotz vieler Berührungen nicht identisch sein: bei beiden fehlen wichtige theologische Begriffe<br />
der jeweils anderen Schrift, so hat nur das Johannesevangelium u. a. doxa, kyrios, nomos,<br />
charis, sozein, pempein, krinein und nur der erste Johannesbrief hat u. a. elpis, koinonia,<br />
chrisma, antichristos, hilasmos. Im Johannesevangelium dominiert eine präsentische, im ersten<br />
Johannesbrief eine futurische Eschatologie. Das Johannesevangelium zitiert das Alte<br />
Testament 19mal, der erste Johannesbrief kein einziges Mal. Im Johannesevangelium ist Christus<br />
das Licht der Welt (8,12), im ersten Johannesbrief ist Gott Licht (1,5, und in 4,8 ist Gott<br />
Liebe). In Joh. 1,1 bezeichnet arche (Anfang) den Beginn der Schöpfung, in 1. Joh. 1,1 ist<br />
damit der Beginn der Kirche mit Christus gemeint. Auch der Gebrauch der Partikel und<br />
Präpositionen ist signifikant different: das Johannesevangelium hat 194mal oun und 25mal<br />
para mit Genitiv, der erste Johannesbrief hat beides kein einziges Mal. Im ersten Johannesbrief<br />
(2,1) wird ausschließlich Christus als Paraklet (Fürsprecher) gesehen, im Johannesevagenlium<br />
ist der Paraklet aber der „Geist der Wahrheit“ bzw. „der heilige Geist“ (Joh.<br />
14,17.26; 15,26; 16,13).<br />
Umstritten ist nun das Abhängigkeitsverhältnis: traditionell wird der erste Johannesbrief vom<br />
Johannesevangelium her gelesen, so spricht H. Conzelmann von einem „johanneischen Pastoralbrief“<br />
und H.-J. Klauck sieht im ersten Johannesbrief eine „theologische Lesehilfe“ für das<br />
Johannesevangelium. Demgegenüber optiert U. Schnelle umgekehrt für die Priorität des Johannesbriefes:<br />
dann müßte dessen futurische Eschatologie auch nicht als „Reapokalyptisierung“<br />
gedeutet werden, und der Parakletbegriff hätte im Johannesevangelium eine Ausweitung<br />
gegenüber dem ersten Johannesbrief erfahren. Zudem ist das Johannesevangelium nirgends<br />
im ersten Johannesbrief eindeutig zitiert. Von den Schriften der johanneischen Schule<br />
würden dem ersten dann nur der zweite und dritte Johannesbrief vorausgehen, so daß man<br />
Abfassungsort und –zeit des ersten Johannesbriefes wahrscheinlich in Ephesus (als Sitz der<br />
johanneischen Schule) um 90 – 95 n. Chr. annehmen kann. Der Adressat des ersten Johannesbriefes<br />
ist die Gesamtgemeinde.<br />
Als Quelle wollte R. Bultmann eine heidnisch-gnostische Schrift ausmachen, doch hat sich<br />
diese Ansicht in der Forschung nicht durchgesetzt. Textgestalt: Ein heute geklärtes textkritisches<br />
Problem ist das in einigen Handschriften stehende „Comma Ioanneum“, ein zusätzlicher<br />
Satzteil („Comma“) in 5,7f., der u. a. in die Vulgata Eingang fand: „... im Himmel: Vater,<br />
Wort und heiliger Geist, und diese drei sind eins, die Zeugnis geben auf Erden: ...“. Der Satz<br />
paßt weder in den Textzusammenhang noch in die johanneische Theologie, so daß es sich um<br />
eine in den Text integrierte Glosse handeln muß. Das einzige verbleibende literarkritische<br />
Problem ist der Briefschluß 1. Joh. 5,14-21, der möglicherweise nachträglich angefügt ist.<br />
Inhalt: Wie das Matthäusevangelium und der Hebräerbrief bezeugt der erste Johannesbrief<br />
eine heftige urchristliche Auseinandersetzung über die Frage, ob ein getaufter Christ sündigen<br />
kann; zunächst, so auch noch bei Paulus, war man von der Sündlosigkeit ausgegangen. Wird<br />
in 1. Joh. 1,8-10 das Faktum der Sünde konstatiert, behauptet 1. Joh. 3,9 die Unmöglichkeit<br />
des Sündigens. Die Lösung könnte sich durch 1. Joh. 5,16f. ergeben, wo zwischen einer<br />
„Sünde zum Tode“ und „Sünde nicht zum Tode“ unterschieden wird. Für die Sünden nicht