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Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick

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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 84<br />

könnte ein selbständiger Brief gewesen sein. 2.) In 1. Kor. 5,9 verweist Paulus auf einen früheren<br />

Brief an die Gemeinde in Korinth. Dieser ist entweder nicht mehr erhalten oder er ist in<br />

den jetzigen ersten Korintherbrief integriert worden. Paulus präzisiert in 1. Kor. 5,9 eine Aussage<br />

des Vorbriefes über die Unzüchtigen, die einige Forscher in 1. Kor. 5,1-8; 6,1-11 oder<br />

6,12-20 wiederfinden wollen. 3.) Wegen des anderen Argumentationsschwerpunktes könnten<br />

8,1 – 9,23.10,23 – 11,1 und 9,24 – 10,22 ursprünglich in verschiedenen Briefen gestanden<br />

haben: einmal wird das Essen von Götzenopferfleisch nur aus praktischer Rücksichtnahme<br />

gegen schwache Mitbrüder verboten, an sich sei es unbedenklich, da es keine Götzen gebe<br />

(8,4); andererseits wird das Essen von Götzenopferfleisch jedoch mit dem Argument grundsätzlich<br />

verboten, daß es zur Gemeinschaft mit Dämonen führe (10,20). 4.) Im Abschnitt 1.<br />

Kor. 11,2-34 werden die Spaltungen in der Gemeinde anders beurteilt als in 1,12ff. Deshalb<br />

nehmen etwa J. Weiß und G. Sellin einen Vorbrief aus u. a. 1. Kor. 6,12-20; 9,24 – 10,22;<br />

11,2-34 und einen weiteren Brief aus 1. Kor. 1 – 4 an. Solche und ähnliche Teilungshypothesen<br />

sind zwar nicht mit letzter Sicherheit zu erweisen, deshalb aber immer noch – entgegen U.<br />

Schnelle – erwägenswert und nicht methodisch unzulässig.<br />

Quellen: Paulus zitiert im ersten Korintherbrief drei Herrenworte: 7,10f.; 9,14; 11,23b-26 (die<br />

älteste überlieferte Abendmahlstradition). Außerdem finden sich vorpaulinische Tauftraditionen<br />

(1,30; 6,11; 12,13) und eine Bekenntnisformel zur Auferstehung (15,3b-5).<br />

Inhalt und Aufbau: Kein anderes Dokument gibt uns einen so guten Einblick in die Probleme<br />

einer urchristlichen Gemeinde. Dem ersten Teil des Briefes zufolge (1,10 – 4,21) gab es in der<br />

Gemeinde zu Korinth vier Parteien: eine Paulus-, eine Apollos-, eine Kephas- (= Petrus-) und<br />

eine Christuspartei (1,12). Offenbar glaubte man, die Taufe durch einen bestimmten Lehrer<br />

verweise die Getauften bleibend auf seine Autorität; die Angehörigen der Christuspartei wollten<br />

sich möglicherweise unter Berufung auf Geistbesitz von niemandem etwas sagen lassen.<br />

Demgegenüber mahnt Paulus zur Einheit in der einzigen Autorität Christus (3,11) und vertritt<br />

eine Theologie des Kreuzes: vor Gott gilt nur das Niedrige und das im Sinne der Weltweisheit<br />

Törichte (wie es die Botschaft vom Kreuz ist), daher kann sich auch niemand vor Gott rühmen<br />

(1,27ff.). Deshalb hält Paulus im sog. Peristasenkatalog (4,11-13, von grch. peristatis<br />

„Bedrängnis“) den Korinthern die Niedrigkeit der Apostel vor, „Narren Christi“ und „Abschaum<br />

der Menschheit“. Im weiteren Verlauf des Briefes kritisiert Paulus spezielle Mißstände<br />

der Gemeinde; teilweise antwortet er dabei auf schriftliche Anfragen aus Korinth (7,1.25;<br />

8,1; 12,1; 16,1). Die Mißstände lassen sich auf die ideologische Basis zurückführen „Weil wir<br />

als Christen Erkenntnis haben, ist alles erlaubt“ (6,12; 8,1; 10,23). Hierzu führt Paulus aus,<br />

daß Christen zwar Freiheit haben, diese werde aber in ihr Gegenteil pervertiert, wenn sie sich<br />

gegen den Bruder in der Gemeinde richte. Wenn überhaupt, dann sollen streitende Christen<br />

nicht vor heidnischen Gerichten, sondern innergemeindlich ihr Recht suchen (6,1-11). Unzucht<br />

sei zu meiden, weil sie Sünde am eigenen Leib sei, der doch Tempel des heiligen Geistes<br />

sein solle (6,15-20); Eheschließung wird „zur Vermeidung von Unzucht“ freigestellt, aber<br />

Enthaltsamkeit empfohlen (7,1-9). Vor dem Hintergrund seiner Naherwartung bestimmt Paulus<br />

das christliche Verhältnis zur Welt als „haben, als hätte man nicht“ und „diese Welt gebrauchen,<br />

als gebrauchte man sie nicht“ (7,29-31).<br />

In Kap. 12 – 14 behandelt Paulus die Geistesgaben (pneumatika, Charismen). Mit dem Bild<br />

vom Leib und seinen Gliedern verdeutlicht Paulus, daß es zwar eine Verschiedenheit der<br />

„Glieder“ gibt, die sich auch in einer relativ festen Ordnung äußert (Apostel, Propheten, Lehrer,<br />

Wundertäter, vgl. 12,28), es sollen aber doch alle Gaben zum Besten des „Leibes“, des<br />

Ganzen angewendet werden, da sie auch alle durch einen Geist gewirkt seien. Das berühmte<br />

„Hohelied der Liebe“ (Kap. 13) stellt die (Nächsten-)Liebe (grch. agape, lat. caritas) als<br />

höchste Geistesgabe vor: ohne sie ist alles sinnlos (13,1-3), sie unternimmt nichts Destruktives<br />

(13,4-7), sie allein hat ewig Bestand, während unser Wissen Stückwerk ist (13,8-12), sie<br />

steht an der Spitze der Wertepriamel Glaube, Hoffnung, Liebe (13,13). In Kap. 14 warnt Paulus<br />

die Korinther vor der Überschätzung der sog. Glossolalie oder Zungenrede (besser zu ü-

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