Jens Peter Clausen: Historisch-kritischer Bibel-Überblick
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<strong>Jens</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Clausen</strong>: <strong>Historisch</strong>-<strong>kritischer</strong> <strong>Bibel</strong>-Überblick 64<br />
II. Das Neue Testament<br />
Nach: Hans Conzelmann, Andreas Lindemann: Arbeitsbuch zum neuen Testament, Tübingen<br />
1979; Udo Schnelle: Einleitung in das neue Testament, Göttingen 4 2002; Manfred Görg,<br />
Bernhard Lang (Hrsg.): Neues <strong>Bibel</strong>-Lexikon, 3 Bde., Zürich 1991ff.; Horst Dietrich Preuß,<br />
Klaus Berger: <strong>Bibel</strong>kunde des Alten und Neuen Testaments, Zweiter Teil: Das neue Testament,<br />
Heidelberg 4 1991.<br />
Jesus von Nazareth (Jesus: gräzisierte Kurzfassung von hebr. Jehoschua/Josua „Jahwe hilft“)<br />
1. Quellen und Methodik: Die außerchristlichen Quellen zu Jesus sind unergiebig, gehen aber<br />
stets von Jesus als historischer Person aus (Tacitus, Annalen 15,44,3; Sueton, vita Claudii,<br />
25,4; Flavius Josephus, Antiquitates 18,63f.: sogenanntes Testimonium Flavianum, mindestens<br />
interpoliert; Plinius minor, Epistulae 10,96,6f.). Die einzigen ausführlichen Quellen<br />
zu Jesus sind die Evangelien, die jedoch nicht Biographie, sondern Glaubenszeugnis<br />
sein wollen. Als Methodik für Rückschlüsse auf den historischen Jesus aus den Evangelien<br />
bieten sich an: a) das Unähnlichkeitskriterium (Differenzkriterium): Jesusworte, die weder<br />
aus dem überkommenen Judentum noch aus der urchristlichen Gemeinde erklärbar sind,<br />
sind sicher echt. Dieses Kriterium hat jedoch seine Grenzen, da in letzter Zeit immer stärker<br />
bewußt wurde, wie sehr Jesus im Judentum verwurzelt ist; b) das Kohärenzkriterium:<br />
Übereinstimmung von Wort und Tat Jesu; c) Mehrfachbezeugung in verschiedenen Traditionsschichten.<br />
2. Geburt: Jesus wurde wohl zu Lebzeiten des 4 v. Chr. verstorbenen Herodes des Großen<br />
geboren (Mt. 2, Lk. 1,5), als leiblicher Sohn von Maria und Joseph, vermutlich in Nazareth,<br />
wo er auch aufgewachsen ist, einem Dorf in der Nähe der damaligen galiläischen<br />
Hauptstadt Sepphoris. Die Bethlehem-Geburtsgeschichten sind Erfüllungslegende nach<br />
Micha 5,1, die Jungfrauengeburt ist Erfüllungslegende nach Jesaja 7,14. Beide Legenden<br />
sind dem ältesten Evangelium, Markus, noch unbekannt: hier gilt Nazareth als „Vaterstadt<br />
Jesu“ (Mk. 6,1) und ebenso selbstverständlich ist von leiblichen Geschwistern Jesu die Rede<br />
(Mk. 3,31f.). Jes. 7,14 war im übrigen ursprünglich gar nicht als messianische Weissagung<br />
gemeint, der laut diesem Vers als Sohn einer jungen Frau – die Übersetzung „Jungfrau“<br />
ist nicht einmal zwingend – geborene „Immanuel“ sollte nicht der Messias sein, sondern<br />
Gottes Strafgericht ankündigen (vgl. Jes. 7,16).<br />
Auch widersprechen sich die Geburtslegenden bei Mt. und Lk.: während der Matthäusevangelist<br />
davon ausgeht, daß Jesu Eltern bei dessen Geburt offenbar regulär in einem<br />
Haus in Bethlehem gelebt hätten (Mt. 2,11) und erst nach ihrer – ebenfalls legendären –<br />
„Flucht nach Ägypten“ nach Nazareth gekommen seien, bietet der Lukasevangelist die bekannte<br />
Weihnachtslegende, derzufolge Maria und Joseph wegen einer Volkszählung vorübergehend<br />
aus Nazareth nach Bethlehem reisen mußten und Jesus dort in einem Stall geboren<br />
sei (jedoch hat es einen in Luk. 2,1 behaupteten welt- bzw. reichsweiten Zensus unter<br />
Augustus nie gegeben). Auch die beiden Stammbäume Jesu bei Mt. 1,1-17 und Lk.<br />
3,23-38, die die Davidabstammung Jesu untermauern sollen, widersprechen sich in sämtlichen<br />
Personen zwischen David und Joseph, dem Vater Jesu, was die Fiktion klar erweist –<br />
zudem wäre ohnehin zu fragen, was diese Stammbäume in Bezug auf eine angebliche<br />
Davidsohnschaft Jesu beweisen sollen, wenn Joseph aufgrund der<br />
Jungfrauengeburtslegende doch nicht der leibliche Vater war.<br />
3. Selbstbewußtsein: Sicher ist, daß der historische Jesus sein Auftreten als das Zeichen des<br />
nahen Gottesreiches verstand. Fraglich ist, ob er bestimmte Hoheitstitel in Bezug auf seine<br />
Person gebraucht hat. Wichtigster dieser Titel ist Christus (grch. „der Gesalbte“), der zum<br />
Beinamen Jesu wurde und der die griechische Übersetzung des hebräischen Begriffes<br />
„Messias“ darstellt. Doch verneint die heutige Forschung für die Titel Christus/Messias<br />
sowie „Sohn (Gottes)“, daß Jesus sie in Bezug auf sich selbst verwendete: an den entspre-