6 Wo gibt es konkreten Handlungsbedarf?Tabelle 7: Handlungsbedarf und MassnahmenHandlungsbedarf Massnahmen ErläuterungKinder, deren Eltern sie bei derBewältigung des Schulstoffsnicht unterstützen können,haben in unserem Bildungssystemschlechte Karten. Integrative Bildungspolitik Tagesstrukturen für Kinderbetreuung inklusiveAufgabenhilfe Einführung einer obligatorischen Ausbildungspflichtbis zum vollendeten 18. AltersjahrDefizite, die im frühen Kindesalterentstanden sind, könnenspäter meist nicht mehr aufgeholtwerden.Lebenslange Bildung ist eineNotwendigkeit, die Tiefqualifiziertesich oft nicht leistenkönnen.Berufliche Kenntnisse undAusbildungen, die andernortserworben wurden, werden oftnicht anerkannt ten. Frühförderung (kinder- und familiengerechtesUmfeld) Unterstützung von Eltern bei ihren Erziehungsaufgaben flächendeckende, qualitativ gute und finanziellzugängliche Kinderbetreuung Erwerb der Lokalsprache vor dem Schuleintritt)Das Engagement der öffentlichen Hand undinsbesondere auch des Stipendienwesens imBereich der Weiterbildung muss verstärktwerden. Validierung von Bildungsleistungen (flächendeckendeUmsetzung des Systems)Es braucht spezifische Angebote für Schlechtqualifizierte,die der Tatsache Rechnung tragen,dass Bildungsangebote bei dieser Gruppeviele Barrieren überwinden müssen.6.8 Frauen und Familien stärkenAuch für die Schweiz gilt, dass der Sozialstaat die Gleichstellung der Geschlechter bislang nicht vollumfänglichnachvollzogen hat. Hier gilt es vorrangig zwei Punkte zu lösen: Erstens die eigenständige sozialeAbsicherung von Frauen und Männern auch in Ehepaaren. Und zweitens die generelle soziale Absicherungvon unbezahlter Haus- und Familienarbeit sowie von Pflegeaufgaben.Im ersten Punkt zeigt etwa die AHV einen gangbaren Weg auf. Durch ihr Splitting der Rentenansprücheund ihre Betreuungsgutschriften hat sie die soziale Absicherung des Partners bzw. der Partnerin <strong>mit</strong> vornehmlichfamiliären Aufgaben entscheidend verbessert. Schwieriger ist die Situation bei den Pensionskassen,die eine Teilung der Ansprüche erst im Scheidungsfall und auch dann noch nicht vollständig kennen,aber immerhin Witwen- und Witwerrenten vorsehen. Da die Administration hier deutlich komplexer ist alsin der AHV, macht ein Splitting kaum Sinn. Umso wichtiger ist eine bessere Pensionskassen-Absicherungvon kleinen Salären.Der zweite Punkt ist schwieriger zu lösen. Die generelle Bezahlung unbezahlter Arbeit ist kein gangbarerWeg, weil dies die geschlechtsspezifische Rollenteilung noch zementieren würde. Eine gerechtere Aufteilungder unbezahlten Arbeit zwischen Männern und Frauen ist zwar wichtig, führt aber gleichzeitig dazu,dass beide Geschlechter das Problem der schlechten sozialen Absicherung dieser Aufgaben zu spürenbekommen. Eine Lösung ist das noch nicht. Die Reformbemühungen müssen vielmehr in die Richtunggehen, einerseits allen durch eine effektive Vereinbarkeit von Familie und Beruf den Zugang zum Erwerbslebenoffen zu halten, da<strong>mit</strong> sie dort eigene Verdienst- und Absicherungschancen haben. Und andererseitsalle sozial abzusichern. Gerade in Zeiten besonderer Beanspruchung setzt die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeitund familiären Aufgaben voraus, dass Menschen auch vom Erwerb freigestellt werdenkönnen. Dies betrifft erstens die betreuungsintensive Babyphase, in der die Schweiz als einziges Land<strong>mit</strong>ten in Europa keine geschützte Elternzeit kennt, die durch ein entsprechendes Elterngeld finanziellabgesichert ist und durch beide Elternteile bezogen werden kann. Eine Elternzeit hat auch den Vorteil,dass die Abdeckung durch die Sozialversicherungen weiterläuft. Ein Modell für eine Elternzeit in derSchweiz hat die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen EKFF entwickelt. Wichtig isteine zweite finanziell abgesicherte Freistellungsmöglichkeit, wenn Angehörige, von den Kindern bis hin45
6 Wo gibt es konkreten Handlungsbedarf?zum unverheirateten Lebenspartner, dringend Pflege benötigen. Die Rechte sind hier in der Schweiz rudimentärund eine finanzielle Absicherung fehlt oft ganz. Zu prüfen ist zudem ein generelles Weiterlaufender Risikoversicherungen bei vorübergehenden Erwerbsunterbrüchen oder Pensenreduktionen.Die Aufzählung macht deutlich, dass in der <strong>Sozialpolitik</strong> gleichstellungs- und familienpolitische AnliegenHand in Hand gehen. Die Familienpolitik soll ein gutes Zusammenleben in neuen Verhältnissen sichern. EinKnackpunkt ist dabei, dass das individuelle Lohnniveau nicht auf familiäre Verpflichtungen Rücksichtnimmt. Es liegt am familienpolitischen System, diese strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber der Übernahmevon Verantwortung für Kinder auszugleichen. Dieser Ausgleich spielt in den meisten Kantonen vorallem für einkommensschwächere Familien ungenügend. Kinderzulagen erhalten nach wie vor nicht alle.Kinderabzüge bei den Steuern entlasten Familien <strong>mit</strong> tiefen Einkommen nicht wirksam. Auch Alimentereichen oft nicht aus, egal ob sie direkt bezahlt oder vom Staat bevorschusst werden. Insbesondere WorkingPoor-Familien nehmen Sozialhilfe nur zögerlich in Anspruch. Bei keinem anderen Haushaltstyp ist dieNichtbezugsquote ähnlich hoch.Selbst der Bundesrat schlägt im Armutsbericht vom Frühling 2010 die Einführung von Ergänzungsleistungenfür einkommensschwache Familien vor. Entsprechende Vorstösse sind auf Bundesebene seit längererZeit hängig. Eine einheitliche Lösung wäre einer Vielfalt kantonaler Modelle vorzuziehen. Aber es scheintalles andere als sicher, ob sie sich tatsächlich realisieren lässt. Die bereits umgesetzten kantonalen Modelleerlauben in der Zwischenzeit, Erfahrungen <strong>mit</strong> dem neuen Instrument zu sammeln.Konkreter Reformbedarf besteht in den in Tabelle 8 aufgeführten Punkten.Tabelle 8: Handlungsbedarf und MassnahmenHandlungsbedarf Massnahmen ErläuterungKinder sind in der Schweiz ein Ergänzungsleistungen für FamilienArmutsrisiko.Die Gleichstellung der Geschlechterist im Sozialsystemnoch nicht verwirklicht eigenständige und zivilstandsunabhängigesoziale Absicherung für alleUnbezahlte Care-Arbeit istschlecht abgesichert(vgl. 6.8)Es ist nach wie vor schwierig,Familie und Beruf zu vereinbaren.(vgl.6.8)Der familienpolitische Lastenausgleichverhindert nicht, dassdas Wohlstandsniveau vonLeuten <strong>mit</strong> Kindern durchschnittlichtiefer ist als das vonLeuten ohne Kinder.Die Erwerbsintegration beiderEltern erfordert in der Babyphaseeine Elternzeit undElterngeld. Elternzeit und Elterngeld Recht auf bezahlten Pflegeurlaub Betreuungsgutschriften auch bei PflegeErwachsener Möglichkeit der Fortführung der Sozialversicherungenbei Erwerbsunterbrüchen Flächendeckende und finanziell zugänglicheKinderbetreuungsangebote Generelle Senkung der Elternbeiträge fürVorschulbetreuung durch stärkere Subventionierung Vaterschaftsurlaub nach der Geburt Elternzeit und Elterngeld Recht auf bezahlten Pflegeurlaub familienfreundliche Arbeitswelt Kinderzulagen für jedes Kind Erlass der Krankenkassenprämien für Kinder bessere Absicherung für Alleinerziehende Unterstützung für das Elterngeld-Modell derEidgenössischen Koordinationskommission fürFamilienfragen EKFF46