2Fachvortrag Intergenerationelles LernenAnknüpfungs-EntwicklungspsychologischepunkteDer zweite Punkt, <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Gestaltung undPlanung intergenerationeller Aktivitäten imAuge behalten werden sollten, sind entwicklungspsychologischeElemente. Es ist hilfreich,die entwicklungspsychologisch defi nierten Aufgaben<strong>der</strong> jeweiligen Altersstufe zu kennen, umThemen, Verhalten und Methoden auf die Entwicklungsaufgabenhin auszurichten.Das Kleinkind im Kin<strong>der</strong>garten muss z.B. lernen,aus <strong>der</strong> Mutter-Kind-Einheit herauszutreten, esmuss Regeln lernen, es muss die Sprache erlernen.Es lernt eigentlich ganz viel durch Rollenspieleund das Spielen überhaupt.Das Grundschulkind steigt auf eine an<strong>der</strong>eStufe und muss Regeln und ethische Grundsätzebeachten. Es muss Gütemaßstäbe bezüglichdem Verhalten und <strong>der</strong> Leistungsfähigkeitakzeptieren und es fängt an, das Selbstbildund das Fremdbild wahrzunehmen. Wenn jetztjemand im Kin<strong>der</strong>garten o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Grundschuleehrenamtlich tätig ist, ist es gut undwichtig, dass er so etwas weiß und nicht meint,wir spielen ja „nur“. Nein, wir spielen nicht„nur“, Spielen ist etwas Zentrales. Spielen heißtRegeln lernen, Spielen heißt sich damit auseinan<strong>der</strong>zusetzen,zu verlieren o<strong>der</strong> <strong>als</strong> Teamzusammen zu arbeiten.Die Jugendlichen, eine Gruppe, mit <strong>der</strong> es nichtimmer leicht ist zu arbeiten, müssen sich vonden Eltern loslösen und Beziehungen zu Gleichaltrigenaufbauen, sie müssen ihre Geschlechterrolleklären, die Verän<strong>der</strong>ungen im Körperakzeptieren. Was auch ganz wichtig ist: Siemüssen ein eigenes Werte- und Normensystementwickeln. Und ich kann mir kaum etwas vorstellen,außer <strong>der</strong> Diskussion in <strong>der</strong> Zielgruppe,was da mehr unterstützen und herausfor<strong>der</strong>nkönnte <strong>als</strong> die Diskussion mit älteren Menschen.Beispielsweise hatten wir in einem ProjektDiskussionen zum Thema Ethik und Werte,zum Thema Schwangerschaftsabbruch zumBeispiel.Jugendliche müssen sich schulisch und beruflichqualifi zieren. Es ist kein Zufall, dass geradein diesem weichenstellenden Themenbereichsehr viele Alt-Jung-Projekte angesiedelt sind.Gerade im Übergang von <strong>der</strong> Schule zum Beruf,<strong>als</strong>o dem Übergang ins Erwerbsleben, benötigenviele Jugendliche Hilfe. Ich begleite zumBeispiel ein Patenschaftsprojekt, das zum Zielhat, Jugendliche mit einer Gefährdung, dieSchule abzubrechen, zu unterstützen. Wir könnenes uns gar nicht leisten, die Jugendlichenin irgendeine Warteschleife zu schicken o<strong>der</strong>aus dem Ausbildungssystem herauszunehmen.Erwachsene engagieren sich da gerne. Nicht,dass es eine leichte Aufgabe ist, aber es ist einesozial sinnvolle Aufgabe. Das ist es, was unsereEvaluation überall gezeigt hat: Die Erwachsenen,die sich in solchen Projekten engagieren,tun es unter an<strong>der</strong>em, weil sie sozial sinnvolleAufgaben suchen.Non formales LernenKin<strong>der</strong> brauchen Wertschätzung, Anerkennungund För<strong>der</strong>ung, um sich positiv zu entwickelnund lernbereit zu sein, darüber brauchen wirnicht weiter zu reden. Aber interessant ist vielleicht<strong>der</strong> Hinweis auf die unterschiedlichenLernformen:Das formelle Lernen, was in den Schulenangeboten wird, normiertes Lernen, istdurch den Lehrplan geregelt.Das informelle Lernen ist vom Alltag geleitet.Es „passiert“ überall, wo wir geradesind. Abhängig von <strong>der</strong> Situation und von <strong>der</strong>sozialen Lage, lernt man alltagsgeleitet alleDinge die notwendig sind, um das Leben zubewältigen.Die dritte Lernform, die zunehmend geschätztwird, ist das non-formelle Lernen. Das wirdangewendet zum Beispiel im Sportverein, woschon gesteckte Ziele <strong>der</strong> Organisation vorgegebensind, sozusagen ein Rahmenplan,wo aber meist keine professionellen Lehrertätig sind. Es wird <strong>als</strong>o von <strong>der</strong> Organisationgeklärt, was wichtig ist, aber <strong>der</strong> Lehrer hateine große Freiheit.Alt- und Jung-Projekte lehnen sich an das nonformelleLernen an. Es wird eine künstlicheLernsituation geschaffen, eingebunden in Strukturenaber mit großen Freiheiten. Allerdings hatdas intergenerationelle Lernen noch an<strong>der</strong>eFacetten <strong>als</strong> z.B. das Lernen im Sportverein.Die Themenvielfalt ist grundsätzlich nicht anVorgaben irgendeiner Institution gebunden unddie individuelle Ausrichtung ist extrem an <strong>der</strong>Interessenlage <strong>der</strong> Beteiligten orientiert.Wenn ich zum Beispiel ein Nachbarschaftszentrumansehe o<strong>der</strong> das Angebot <strong>der</strong> Schulen,dann gibt es eine unendliche Themenvielfalt:Einige haben Lust auf einen Spieletreff, manchemöchten Strickkurse durchführen, an<strong>der</strong>eeinen Sprachkurs, wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e eine Einzelpatenschaft…Diese Vielfalt ist ganz individuell andie Bedarfslage <strong>der</strong> Erwachsenen angebunden,aber auch an die Bedarfslage <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>: Wennich sehe, dass ein Kind o<strong>der</strong> ein Jugendlichermit einem ganz bestimmten Defi zit o<strong>der</strong> einerganz bestimmten Begabung da ist, dann kannes genau dort geför<strong>der</strong>t werden. Wo gibt es das16Fachtag „Intergeneratives Lernen“ 201017
2Fachvortrag Intergenerationelles Lerneneigentlich sonst? Es gibt natürlich Nachhilfe-Institutionen, es gibt Kunstkurse, usw., aberdas intergenerationelle Lernen ist ein Lernweg,<strong>der</strong> absolut themenoffen ist.Intergenerationelle Lernangebote sind einetolle Chance in unserer Zeit, in <strong>der</strong> Individualisierungund eigenständige Verantwortlichkeitfür die eigene Lebensperspektive so wichtiggeworden sind, um genau am Bedarf zu för<strong>der</strong>nund zu unterstützen. Die aktuelle gesellschaftlicheSituation zeigt, dass genau solche För<strong>der</strong>angebotenotwendig sind. Ich habe jetzt nur maleinige Schlagworte aufgenommen:Schlagwort Migrationshintergrund. Was heißtdas? Das heißt Sprachför<strong>der</strong>ung, heißt Identitätsför<strong>der</strong>ung,denn Identität entsteht durch<strong>Dialog</strong>. Migrationshintergrund bedeutet kulturelleVielfalt nutzen lernen. Das bedeutet, dassdie Jungen ganz viel von den Alten lernen können,alleine, was die Sprache anbelangt. Dasbedeutet an<strong>der</strong>sherum, dass die Alten auch vonden Jungen lernen. So werden im <strong>Dialog</strong> Vorurteileabgebaut.Schlagwort ‚Lebenslanges Lernen’: Für Ältereund auch für die Jüngeren ist es enorm wichtig,lernfähig zu bleiben, die Notwendigkeit lebenslangerWeiterbildung zu erkennen und dazueine positive Einstellung zu entwickeln.Diese intergenerationellen Angebote, die sichheute entwickeln, haben eine ganz aktuelle,gesellschaftspolitische Bedeutung und einenspezifi schen Hintergrund von gesellschaftlichenErfor<strong>der</strong>nissen, von entwicklungspsychologischenAufgaben, von individuellen,personenbezogenen Bedürfnissen und Zielen.Aber natürlich hängt die Ausrichtung auchdamit zusammen, wo diese Angebote angebundensind. Ein Nachbarschaftszentrum brauchtetwas an<strong>der</strong>es <strong>als</strong> eine Schule, ein Kin<strong>der</strong>gartenbraucht etwas an<strong>der</strong>es <strong>als</strong> ein Altenheim.Das beson<strong>der</strong>e am intergenerationellen LernenWas ist das Beson<strong>der</strong>e am intergenerationelleno<strong>der</strong> generationenübergreifenden Lernen?1. Senior/innen sind keine Lehrer o<strong>der</strong> Lehrerinnen,die bewerten, sie sind keine Eltern, dieerziehen, sie sind keine Therapeuten, die „korrigieren“.Das wissen sie allerdings manchmalnicht. Manch einer versucht sich auch <strong>als</strong> Psychologeo<strong>der</strong> würde gerne eine richtige Erziehungsfunktionübernehmen. Falls so etwasvorkommt, ist es die Aufgabe des (professionellen)Umfeldes zu sagen: Das ist nicht EureAufgabe, ihr seid keine Lehrer, keine Eltern undkeine Therapeuten.2. Senioren und Seniorinnen arbeiten freiwilligmit Jugendlichen o<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>n, aus Interesseund meist unentgeltlich. Manche Kin<strong>der</strong> undJugendliche können kaum glauben, dass dajemand ist, <strong>der</strong> extra für sie kommt, ohne eineBezahlung dafür zu erwarten.3. Durch dieses Erfahrungswissen, dasSenior/-innen einbringen, wird Alltags- undRealitätsbezug eingebunden. Als Beispiel: EineKFZ-Meisterin sagte: wenn ich viel über Hebelgesetzerede, begreifen das nur wenige. Wennich an einem Wagen einen Reifen wechsele,und ihn dazu aufbocke, geht das Begreifenganz schnell.Aktivierend Arbeiten <strong>als</strong> GrundprinzipDer Erfolg misst sich nicht nur am konkretenLernergebnis, son<strong>der</strong>n auch daran, dass aktivdaran teilgenommen wird. Das bedeutet für diejenigen,die im Umfeld anleiten, begleiten o<strong>der</strong>unterstützen, dass sie „Hilfe zur Selbsthilfe“anbieten und möglichst aktivierend arbeiten.Aktivierendes Arbeiten <strong>als</strong> Grundprinzip desintergenerationellen Lernens ist ein ganz zentralerBaustein. Es ist sinnvoll, dieses Thema inFortbildungen aufzugreifen, denn das haben diemeisten Senioren und Seniorinnen nie gelernt.Oft geben sie nur Anweisungen: Du musst dasso machen, du musst das so machen und dumusst das so machen. Viele unserer älterenLeute kennen zwar theoretisch das Handwerkszeugfür aktivierendes Arbeiten, benutzen aberständig den erhobenen Zeigefi nger. Vorgaben zumachen bedeutet, dass man das Ergebnis „imGriff“ hat; aktivierend zu arbeiten bedeutet einegrößere Ergebnisoffenheit. Auch wenn es mitmehr Unsicherheit verknüpft ist – aktivierendesArbeiten bedeutet, dass die Beteiligten mitdenkenund Verantwortung übernehmen müssen.Gut ist es, auf ein Ergebnis o<strong>der</strong> auf ein Produkthinzuarbeiten, auf ein Ziel, das man gemeinsamerreichen möchte.Lernen mit Kopf, Herz und Hand! Sachebene,Handlungsebene, Beziehungsebene, diese dreiDinge zusammen zu entwickeln, das ist ein erfolgversprechen<strong>der</strong>Lernweg, über den die Lernmotivationgestärkt wird. Intergenerationelles Lernenist gut dafür geeignet, alle hier benannten Handlungsebeneneinzubinden und motivationsför<strong>der</strong>ndeLernbedingungen zu schaffen!Beziehung ist wichtigAlle diese generationsübergreifenden Aktionenleben davon, dass ein beson<strong>der</strong>es Beziehungsklimaentsteht. Aktivierende Arbeiten und dieEntstehung eines guten Beziehungsklimas sindzentrale Bausteine. Natürlich sind auch fachlicheDinge wichtig, aber die Beziehung ist das, wasalles trägt. Beziehung heißt, dass zunächst dieEingangsvoraussetzungen geschaffen werdendurch Neugierde und Offenheit vonbeiden Seiten,durch Hinschauen und Wahrnehmen,durch Kontaktaufnahme und Zuhören,durch Preisgeben und verletzlich sein,durch Akzeptieren und Respektieren.Das klingt banal, aber das ist es nicht.In <strong>der</strong> Praxis ist das mit vielen Stolperfallen versehen.Man möchte die an<strong>der</strong>en schon gernerespektieren, man möchte die Jugendlichenja schon nehmen, wie sie sind, aber es ist garnicht so einfach, die gegenseitigen Vorurteileabzubauen. Ich hatte zum Beispiel einen älterenTeilnehmer, <strong>der</strong> sagte: „So einer wie <strong>der</strong>, <strong>der</strong>wäre bei mir früher auf <strong>der</strong> Stelle rausgefl ogen.“Akzeptieren und respektieren ist ein schwierigesThema - die Vorurteile in den Köpfen sindzum Teil schwerwiegend. Ein Senior sagte: „Wirgeben zu gerne Ratschläge und sagen, was sietun sollen, dabei wollen sie eigentlich oft nur18 18Fachtag „Intergeneratives Lernen“ 201019