6Workshop IV AlltagsbegegnungenKin<strong>der</strong>, die zu uns kamen, sagten, dass es Schülergibt, die keine warme Mahlzeit bekommen.Das kann man sich kaum vorstellen, aber dasist so. Da wollten wir helfen und suchten nacheiner Möglichkeit, gemeinsam zu kochen, mitKin<strong>der</strong>n – für Kin<strong>der</strong>.Hier gab es eine Märchenstunde. Da kommendie Großeltern mit ihren Enkeln, eine Stundenachmittags. Hier ist die Geschichte mit denLesepaten in einer Kin<strong>der</strong>tagesstätte, Wirsehen es auch, wie es richtigerweise dargestelltwurde, es ist nicht das Pädagogische gefragtvon uns, son<strong>der</strong>n es ist die Nähe gefragt. DieKin<strong>der</strong> merken, hier bekommen sie plötzlichZuwendung in irgendeiner Form.Dann hat die Stadtbücherei angefragt, ob wirnicht mal was machen könnten. Es kommenzu ihnen immer Mütter mit Kin<strong>der</strong>n, die gernemal einkaufen gehen wollen, <strong>als</strong>o machen wirauch dort solche Lesepaten-Geschichten. Hierin <strong>der</strong> Grundschule, ich habe es schon angemerkt,erschreckende Zahlen: 40 % <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>haben Sprach- und Leseschwierigkeiten.Das sind übrigens nicht nur Migrantenkin<strong>der</strong>,es sind auch viele Kin<strong>der</strong>, die aus Deutschlandkommen und Schwierigkeiten haben.Das heißt, wir müssen uns nicht nur auf dieFamilie konzentrieren, son<strong>der</strong>n auf das, wasnach <strong>der</strong> Familie und außerhalb <strong>der</strong> Familiesein wird.Schüler haben eine AG gegründet, das organisierendie selbst, und gehen ins Pfl egeheim.Ich begleite sie, damit sie nicht alleine sind,zumal in <strong>der</strong> Regel auch Rückfragen kommen.Das ist ja nicht immer ganz einfach, aber dassman zusieht, dass die Kin<strong>der</strong> das verarbeiten.Das ist das Projekt, was ich vorhin angesprochenhabe, Jung und Alt singen gemeinsam mitMenschen mit einer Demenz. Zum Teil sind dieJungen und Mädchen zehn bis 12 Jahre alt, dieMenschen mit Demenz sind mittendrin. DasProjekt wird professionell begleitet. Die habenauch einen Lie<strong>der</strong>hefter erarbeitet mit Erinnerungspflege, das heißt, wir haben Lie<strong>der</strong>textegeschrieben, Bil<strong>der</strong> dazu. Wie das so ist, dieÄlteren können diese Lie<strong>der</strong> alle auswendig, dieJüngeren brauchen die Lie<strong>der</strong>bücher.Sie bekommen dann auch etwas zurück. Dasist das, was ich sagte, wenn Sie sich engagierenund was tun, dann bekommen Sie auchviel zurück. Sie bekommen mehr zurück, <strong>als</strong>Sie geben, wenn eine Mutter kommt und sagt,Herr Niermann, ich will Ihnen eins sagen, Siehaben uns ein Stück Lebensqualität gegebenund dafür sind wir Ihnen dankbar. Was wollenSie noch mehr?Teilnehmerin: Die Frage interessiert mich amallermeisten, weil ich an einem Projekt arbeite,wo wir ein Nachbarschaftszentrum aufbauenwollen: Ehrenamt. Wie haben Sie die gekriegt?Sie haben etwas in die Zeitung gesetzt? Dasklingt so: bei uns haben wir das verbreitet, dasind die Ehrenamtlichen nur so hinzugeströmt.Günter Niermann: Nein, Sie müssen sehen,dass wir zwölf Jahre alt sind. Ein solches Projektbenötigt Zeit. Sie dürfen sich nicht selbstunter Druck setzen lassen, davon müssen Sieganz weg. Ich weiß, Träger wollen immer gernesehen, dass da ganz viele Leute kommen. Nein,Sie können nur das machen, was die Menschenwollen. Wenn Sie ihnen das Konzept vorgeben,dann kriegen Sie niemanden. Ein Beispiel: Ichmöchte mich engagieren, aber Sie sagen mirbitte nicht, von welcher Seite ich den Kaffeeeingießen muss. Dann kann man alles lassen.Das ist ein Prozess, <strong>der</strong> seine Zeit braucht. UndSie brauchen Mitstreiter. Sie brauchen Leute,die auch Persönlichkeiten sind, nach außengehen und das auch wirklich ernsthaft vertreten.Das muss auch eine ganz fundamentaleAufgabe <strong>der</strong> Politik sein, sich zu engagierenund einzulassen. Das dauert. Viele kommenauch und sagen, Mensch, ich habe gehört, dasist ein Altenclub. Nein, das ist ein <strong>Generationen</strong>treff!Sie müssen ständig in <strong>der</strong> Presse sein, das isteiner <strong>der</strong> wichtigsten Dinge, die Medien sindsehr interessiert, gute Sachen auch kostenfreizu bringen. Für soziale Projekte ist die Presseeigentlich immer zu haben. Sie müssen auf diePresse zugehen, sie einladen zu einer TasseKaffee und einem Gespräch. Natürlich kannman über die Presseveröffentlichung Leutegewinnen, aber Sie brauchen auch Multiplikatoren– und Zeit.Wir haben jetzt mit Lesepaten und allen, diedazugehören, 100 Ehrenamtliche. Das sprichtsich rum und wir stehen bestimmt jeden zweitenTag mit irgendetwas in <strong>der</strong> Presse. Dannlesen das die Leute, sie sehen es.Teilnehmerin: Bei so vielen Kin<strong>der</strong> und Jugendlichenhat man eine große Verantwortung. Wiemachen Sie das? Auch wegen <strong>der</strong> Sicherheit<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>.Günter Niermann: Wir schauen natürlich, aberwir können nicht in jeden hineingucken, waser treibt o<strong>der</strong> macht. Wir passen auf, dass wirnach Möglichkeit nicht jemanden haben, <strong>der</strong>mit pädophilen Neigungen herumläuft. Dasweiß man aber lei<strong>der</strong> nicht immer. Es ist bishernoch nie etwas vorgefallen, zumal wir die Leutekennen. Aber Sie können den Leuten immer nurvor den Kopf gucken, mehr geht nicht.Das polizeiliche Führungszeugnis wird vom Kin<strong>der</strong>gartenund von <strong>der</strong> Schule verlangt.Peter Stawenow: Mich beschäftigt noch mal<strong>der</strong> Gedanke, <strong>der</strong> auch das Thema dieserTagung heute ist. Sie haben eine breite Paletteaufgezeigt, wo Menschen unterschiedlicher<strong>Generationen</strong> einan<strong>der</strong> begegnen, auch lokalisiertdurch Veranstaltungen, bei denen manWünsche, Bedürfnisse und Interessen <strong>der</strong> Menschenaufnimmt. Das ist eine Möglichkeit.96 96Fachtag „Intergeneratives Lernen“ 201097
6Workshop IV AlltagsbegegnungenDas an<strong>der</strong>e sind ja Alltagsbegegnungen. Wennman sich das auf <strong>der</strong> Zunge zergehen lässt, istdas ja gerade das Gegenteil von dem, was Siedargestellt haben. Was sind Begegnungen imAlltag von Menschen unterschiedlicher <strong>Generationen</strong>?Die sind dann nicht lokalisiert o<strong>der</strong>teilweise lokalisiert. Nicht lokalisiert, das ist,wenn man sich in <strong>der</strong> Straßenbahn, Bus o<strong>der</strong>U-Bahn, beim Arzt, im Geschäft usw. begegnet.Alles hat seine Berechtigung und ist im Lebenvorzufi nden. Mich interessiert, wie tragen denndiese Begegnungen dazu bei, dass das Miteinan<strong>der</strong>an<strong>der</strong>s wird o<strong>der</strong> mehr Normalität einkehrt?Hat sich in ihrer Stadt das Miteinan<strong>der</strong><strong>der</strong> <strong>Generationen</strong> verän<strong>der</strong>t? O<strong>der</strong> wie tragenIhre Veranstaltungen o<strong>der</strong> Aktivitäten dazu bei,dieses Verhalten zu beför<strong>der</strong>n? Irgendwanntreffen sie sich einmal im Jahr beim Nachbarschaftstreff,aber ansonsten laufen sie an den364 an<strong>der</strong>en Tagen aneinan<strong>der</strong> vorbei.Teilnehmerin: Welche Bedeutung haben diese Projektefür den Alltag? Das ist ja kein Zufall, dass HerrNiermann ein paar Projekte vorgestellt hat, die praktischden Hintergrund geben für den Alltag.Teilnehmerin: Vorhin wurde <strong>der</strong> Begriff 50 Plusnicht gut gefunden, ich weiß nicht, wie mandiese Generation sonst an<strong>der</strong>s nennen soll.Ich kenne viele Menschen, wenn sie so etwasüber 50 sind und aus irgendwelchen Gründennicht mehr arbeiten können, dann müssen sieaufgefangen werden. Ich gehöre <strong>der</strong> SeniorenvertretungCharlottenburg-Wilmersdorf an, wirwissen ja alle, dass wir in Berlin ein Seniorenmitwirkungsgesetzhaben, wir machen <strong>als</strong>oauch die Beratungen. Da kommen oft Seniorenzu uns bzw. noch nicht einmal die Senioren,denen das passiert ist, son<strong>der</strong>n es kommenoft die Kin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Pfl egende, die feststellen,dass Vater o<strong>der</strong> Mutter nach <strong>der</strong> berufl ichenTätigkeit in ein ganz tiefes Loch fallen, wennsie plötzlich mit 65 o<strong>der</strong> früher in Pension o<strong>der</strong>in Rente gegangen sind. In diesen Netzwerkenist es wichtig, dass man die Menschen auffängt,damit sie langsam, aber sicher in dasAlltags- o<strong>der</strong> Altersleben hineinwachsen. Dasfi nde ich gut, dass es immer wie<strong>der</strong> Initiatorengibt, wie auch Sie, Herr Niermann, die solcheNetzwerke o<strong>der</strong> Treffs, Seniorentreffs o<strong>der</strong>Seniorenclubs nennen wir das bei uns in Berlin,organisieren.Es ist ja nicht nur eine Beschäftigung für denEinzelnen, denn man nimmt ihn ja auch inVerantwortung, denn sie müssen ja auch verlässlichsein, wenn sie einzelne Projekte dortdurchführen wollen. Das brauchen die älterenMenschen auch. Sie wollen zwar nicht in einePartei o<strong>der</strong> in einen Verein eintreten, das istrichtig, aber wenn sie sich an einem Projektbeteiligen, egal, ob Nähen, im Kin<strong>der</strong>garten,Malen, ein Buch schreiben, einen Film drehen,dann strukturieren sie damit ihren Alltag, damitdiese Menschen, die das Gefühl haben, sie fallenin Loch, noch weiterhin an <strong>der</strong> Gesellschaftteilhaben können.Günter Niermann: Ja. Wobei sich die Motivationsgrundlagevon den Älteren o<strong>der</strong> Vorruheständlerngegenüber früher geän<strong>der</strong>t hat.Teilnehmerin: Richtig, genau. Die haben nurwas angeboten. Aber jetzt wollen wir ja, dasssie selber aktiv sind – und rechtzeitig damitanfangen.Günter Niermann: Entscheidend ist auch noch,dass das kein Konzept vorwegnimmt.Eva-Maria Antz: Wir wollen noch deutlicherschauen, wie <strong>der</strong> Alltag funktioniert.Nicht nur die Begegnung, son<strong>der</strong>n wie wird dasauch im Lernen im Alltag. Ich glaube, das wirddie schwierige Frage. Solche Projekte könnengerade für Einrichtungen wie Stadtteilzentrendie Menschen erst einmal locken, egal, welcherAltersgruppe. Projekte sind Gelegenheiten,etwas auszuprobieren, Gruppen auszuprobieren,eine Möglichkeit, Beziehungen zu knüpfen.Ich ergänze, dass dadurch auch Netzwerkeentstehen können, Projekte liefern da einenBeitrag, auch dafür, dass Struktur im Alltag entsteht,denn Projekte bringen nicht nur Strukturfür den Einzelnen, son<strong>der</strong>n sie bringen aucheine Struktur in den Alltag einer Einrichtung.Dadurch gibt es Anhaltspunkte, warum maneinen Anlass hat, in eine Einrichtung zu gehen.Das, um zurechtzurücken, dass Projekte nichtwas ganz an<strong>der</strong>es sind, son<strong>der</strong>n dass sie diesenAlltag öffnen und befruchten können.Teilnehmer: Ich wollte die Projekte gar nichtschlechtreden, son<strong>der</strong>n nur sagen, dass wirden Fokus nicht auf Projekte legen und den Alltagvergessen sollten. Mit dem Begegnungsortvon <strong>Generationen</strong> ist überhaupt <strong>der</strong> Rahmengeschaffen worden, die Angst zu überwinden,mit Menschen aus an<strong>der</strong>en <strong>Generationen</strong> o<strong>der</strong>mit an<strong>der</strong>en Hintergründen im Austausch undim täglichen Kontakt zu sein. Das hat erst denNährboden geschaffen, um auch Projekte zumachen.Teilnehmer: Zu 50 Plus: <strong>als</strong>o Menschen von 50bis 86, das ist eine wahnsinnige Bandbreite. DieMenschen sind völlig unterschiedlich in ihrerLeistungsfähigkeit, einer ist fi t, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e istkrank, einer hat gesundheitliche Probleme undbraucht Unterstützung, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e kann nochganz gut leben, <strong>der</strong> eine ist wohlhabend, reichund gebildet, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e ist arbeitslos o<strong>der</strong> hateinen nicht qualifi zierten Job. Wir haben es <strong>als</strong>omit einer wahnsinnigen Vielfältigkeit zu tun.Wenn wir es schaffen, auch für diese VielfältigkeitRäume zu bieten, wo sie sich einbringenkönnen, dann tun wir ganz viel und das ist nichtimmer nur Bildung und Wissen, was transportiertwird. Ich glaube, eine zentrale Ressourceist Zeit. Diese Menschen haben Zeit, egal, obsie arbeitslos sind und mit 50 gerne wie<strong>der</strong>einen Job hätten, o<strong>der</strong> ob sie 60 o<strong>der</strong> 70 sind,sie haben Zeit und wollen die einbringen.Peter Stawenow: Um bei deinen Gedankennoch mal anzuknüpfen, das ist ja genau das,<strong>als</strong>o wir leben ja nicht alle in einem luftleerenRaum, son<strong>der</strong>n wir nehmen ja Raum und Platzein. Begegnungen fi nden überall statt, beim98 98Fachtag „Intergeneratives Lernen“ 201099