5Workshop III Alt mit Jungden jungen Leuten von heute. Sie konnten sichgegenseitig sagen, dass sie ähnliche Erfahrungenmachen: Es gibt keine Stellen, <strong>als</strong>o dieSchwierigkeiten, eine Existenz wählen zu könnenund in den Beruf hinein zu fi nden. Die Aufmerksamkeit<strong>der</strong> Älteren war ganz groß in Bezug aufdie Jüngeren, die sich dumm und dämlich bewerbenmüssen und keinen Zuspruch erhalten, dieein Ausmaß an Geduld und positivem Denkenund Hoffnungen aufrechterhalten müssen, wasden Älteren viel schwieriger erschien <strong>als</strong> in <strong>der</strong>damaligen Kriegssituation, weil dam<strong>als</strong> konntees nur nach vorne gehen, aber dieses Gefühl,ausgeson<strong>der</strong>t und gar nicht gefragt zu sein, dasist beson<strong>der</strong>s schwierig.Teilnehmer: Aus meiner Erfahrung gibt es auchso was wie eine kulturelle Dominanz. Eine Erfahrungbei Ikarus ist, wenn wir ganz Junge dabeihaben und wir Pause machen, dann ist es ganznormal, hinsetzen, Kaffeetrinken, reden. Das istaber eine Kultur <strong>der</strong> Älteren, das heißt, manchmalhat man Jüngere daneben sitzen, die völligverstört sind, was geht denn hier ab? Kaffeetrinken und reden, das ist nicht meine Kultur.Sie gewöhnen sich relativ schnell daran, aber esgibt eine kulturelle Dominanz, je nachdem, welcheGruppe größer o<strong>der</strong> stärker ist und welcheGruppe die Verhaltensweisen dominiert. Das istauch ein Aspekt, <strong>der</strong> zum Setting gehört.Teilnehmerin: Da möchte ich anknüpfen, dusagtest, es geht auch um Reibung, die ja aucherwünscht ist. Ich habe mit einer Gruppe vonSchülern und <strong>der</strong> Gruppe vom Theater <strong>der</strong>Erfahrungen ein Projekt gemacht, wo Zeit eineganz an<strong>der</strong>e Funktion hatte. Die Studentenhaben ohne Ende den Semesteranfang und denSemesterabschluss gefeiert und was es noch fürAnlässe gab. Wenn wir am Wochenende geprobthaben, kamen sie natürlich locker mindestenseine halbe Stunde zu spät, während die Älterenda saßen, eine Viertelstunde vorher da waren.Wie denn jetzt? Ich denke, wir wollen hier Theatermachen! Also Disziplin, Zeitmanagement,das sind Dinge, die in verschiedenen <strong>Generationen</strong>und Kulturen an<strong>der</strong>s verlaufen. Lustigist dann tatsächlich die Auseinan<strong>der</strong>setzungdarum. Warum kommen die immer zu spät?Was macht das mit den Alten, die da sitzen undwarten? Was passiert da eigentlich? Erst durchdiese Reibung kommt es zu einer viel stärkerenKontaktaufnahme. Wenn wir immer pünktlichangefangen hätten, hätten die sich niem<strong>als</strong> sogut kennen gelernt, <strong>als</strong>o das war Gegenstandund Anlass für Auseinan<strong>der</strong>setzungen.Teilnehmerin: Noch einmal zurück zu den Alten,die mal Punks spielen wollen, ihr Bild von sichein Stück weit aufbrechen. Ich kenne das auchumgekehrt. Ich bin aus dem Nachbarschaftshausam Teutoburger Platz, was früher einjüdisches Kin<strong>der</strong>heim war. Wir haben da vielGeschichtsarbeit mit Zeitzeugen. Da kam eineFrau aus Israel, die früher <strong>als</strong> Kind dort war undauch in Schulen geht. Bei den Kin<strong>der</strong>n gab eseine wahnsinnige Resonanz, die sind völlig fasziniertund begeistert und hören sich das an.Die Alten geben den Jüngeren ein Vorbild: Menschen,die so was erlebt und überlebt haben,die sich einsetzen und kämpfen, so etwas zusehen, das gibt Motivation und es wird auch daseigene Tun infrage gestellt, selbst bei Kin<strong>der</strong>n.Johanna Kaiser: Die gegenseitige Wertschätzungist ein Aspekt, <strong>der</strong> notiert werden sollte.In dem Fall machen die Älteren den JüngerenMut und die Wertschätzung ist da. Die gleicheErfahrung habe ich übrigens auch in dieserRevue-Produktion gemacht, dass die Studentensich untereinan<strong>der</strong> unheimlich kritisch beäugtenund teilweise nichts Gutes aneinan<strong>der</strong> ließen.Wenn dann die Alten dazu kommen undsagen: „Ach ja, Seminarplan, oh Gott, was mussman denn heutzutage alles können!“ Plötzlichist eine Wertschätzung da, die von einer ganzan<strong>der</strong>en, einer hochschulfernen Gruppe ausgeht,es beginnt ein Wechselspiel. Das fi ndeich, ist auch ein ganz eklatanter Punkt beiintergenerativer Arbeit, auch bei interkulturellerArbeit. Diese Wertschätzung ist in homogenenGruppen viel schwieriger zu erreichen.Teilnehmer: Was auch noch wichtig ist, ist diesesAushalten <strong>der</strong> Unterschiedlichkeit. Wobeiwir mit unseren Geschichten die Erfahrunggemacht haben, wenn man die Unterschiedebetont, erhält man <strong>als</strong> Resultat auch dieGemeinsamkeit. Wenn man sich mutig an dieKlischees und an die gegenseitigen Vorurteilewagt, dann erntet man in <strong>der</strong> Regel noch einestärkere Gemeinsamkeit, weil man diese Unterschiedlichkeitzwischen den <strong>Generationen</strong> auchstehen lassen kann. Daran kann man auchnicht viel än<strong>der</strong>n, man muss diese Toleranz miteinan<strong>der</strong>entwickeln. Gut, dann kommt <strong>der</strong> haltzu spät, so ist es eben. Es gibt ja alle möglichenUnterschiede, Erfahrungsunterschiede, kulturelleUnterschiede, unterschiedliche Auffassungenvon Kunst, von Fotografi e o<strong>der</strong> Musik. Aberdiese Unterschiede auch bestehen zu lassenund keine Gleichmacherei zu praktizieren, ja,wir sind unterschiedliche <strong>Generationen</strong>, aberalles ist nett, heiter und wir verstehen uns toll,da muss man aufpassen, dass man die Toleranzfür diese Unterschiedlichkeit hat.Teilnehmerin: In dem Zusammenhang istnatürlich auch diese Wertschätzung wichtig,auch erst mal dieser Kontaktaufbau bzw. <strong>der</strong>Beziehungsaufbau. Darüber kann dann auchakzeptiert werden, dass jemand an<strong>der</strong>s ist,<strong>als</strong>o Verständnis entwickelt werden. Bei denVorbil<strong>der</strong>n ist mir aufgefallen, dass die Älterenein Vorbild für die Jüngeren sind, aber eigentlichsind die Jüngeren ein Vorbild für die Älteren.Wenn die Älteren auf einmal jung sein wollen,ich denke, diese Vorbildfunktion switcht hin undher und ist nicht festgelegt.Teilnehmerin: Die Hin<strong>der</strong>nisse bzw. die Brennpunktehaben wir wenig angesprochen, wieIngrid sie eben mit <strong>der</strong> Klasse angesprochenhat, <strong>als</strong>o dass es wirklich wichtig ist auf das Settingzu achten. Beispielsweise war die Gruppierungmit diesen Kleingruppen natürlich optimal,da passieren nicht so viele Schwierigkeiten.Teilnehmer: Genau. Der Ort, <strong>als</strong>o das Setting,<strong>der</strong> Gegenstand, das Thema. Dann habe ich mirnoch notiert – das Alter <strong>der</strong> Jugendlichen.Teilnehmerin: Ja, und die paritätische Verteilungzwischen Jung und Alt.Teilnehmerin: Es sollte auch ein neuer Ort sein,o<strong>der</strong> ein Ort, an dem sich beide <strong>Generationen</strong>wohl fühlen.88Fachtag „Intergeneratives Lernen“ 201089
5Workshop III Alt mit JungJohanna Kaiser: Ich fi nde es klasse, dass essolche Orte gibt, wie Ingrid sie eben beschriebenhat. Ein Ort, <strong>der</strong> erstmal unter <strong>der</strong> „Herrschaft“<strong>der</strong> Jugendlichen war, nachher einbisschen aufgebrochen wurde. Es gibt denRaum für zufällige Begegnungen, aber ich zumBeispiel fi nde auch das Konstrukt gut. KonstruierteOrte sind auch völlig in Ordnung, auchda ist eine Möglichkeit für Freiheit beispielsweiseim Vergleich zur Familie. Die Familie istja <strong>der</strong> Ort für alle möglichen intergenerativenKontakte, Austausch, Begegnung. Praktischist das lei<strong>der</strong> sehr festgezurrt, die Leute sindmanchmal isolierter <strong>als</strong> man denkt. In einemaußerfamiliären und konstruierten Ort passiertoft viel mehr <strong>als</strong> innerhalb <strong>der</strong> Familie.Dies sind unsere Erfahrungen, dass die Leutegesagt haben, sie können nicht mit ihrer Omareden, doch in <strong>der</strong> Werkstatt <strong>der</strong> alten Talentebeispielsweise nach einer Aufführung kommensie in Kontakt mit älteren Menschen. Insofernist so ein konstruierter Ort, ein ‚künstlicher’Anlass, beispielsweise durch Kultur, sehr hilfreich.Teilnehmer: Gab es unterschiedliche Qualitätenvon Begegnungen? Mein Generalbeispielist: Was passiert eigentlich in <strong>der</strong> Pause, wennsich die <strong>Generationen</strong> jeweils an zwei verschiedeneTische setzen? Dann hat man noch nichtso viel erreicht, <strong>als</strong> wenn sich in <strong>der</strong> Pause automatischeine Mischung herstellt.Markus Schönbauer: Vielen Dank an alleBeteiligten.Infotafel Workshop III90Fachtag „Intergeneratives Lernen“ 201091