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So Nicht!

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Nach des<br />

Tages Mühen<br />

Es war eine schreckliche Nacht, die Frau Meyer in der<br />

Pension „Nach des Tages Mühen“ verbringen musste. Das<br />

Zimmer erinnerte mit seinem strengen Geruch in geradezu<br />

aufdringlicher Weise an die fette Frau Schneider. Der Teppich<br />

hatte seine Eigenfärbung eingebüßt und war mit Flecken<br />

jeglicher Couleur bedeckt. Vorn schillerte es in eher rötlichen<br />

Tönen. Rotwein oder etwa Blut? Frau Meyer schüttelte es<br />

vor Entsetzen. Weiter unten stritten gelblichbräunliche und<br />

grünliche Schattierungen um die Vorherrschaft. Frau Meyer<br />

unterließ es tunlichst, über deren Herkunft nachzudenken,<br />

Erbspüree?!<br />

Die Möbel, ein Bett, ein Stuhl, ein Schrank, erweckten<br />

hinsichtlich ihrer Stabilität keinerlei Vertrauen und hätten<br />

jedem Sperrmüllhaufen Ehre gemacht.<br />

Die Gardinen hatten sich größtenteils aus ihren Halterungen<br />

gelöst und waren offensichtlich zu irgendwelchen Reinigungsarbeiten<br />

– Schuheputzen? – benutzt worden.<br />

Und erst die Bettwäsche! Über die Löcher hätte Frau Meyer ja<br />

noch tapfer hinweggesehen, aber diese obskuren Flecken auf<br />

dem Laken! Das war einfach zu viel!<br />

Frau Meyer rollten dicke Tränen übers Gesicht.<br />

Wie konnte ihr Horst das nur antun? Nach all dem, was sie<br />

für ihn getan hatte! Ohne Murren hatte sie all seine Nörgeleien<br />

und Macken ertragen, kein einziges Mal hatte sie es<br />

vergessen, ihn an seine Blutdrucktabletten zu erinnern! Und<br />

jetzt hatte er sie einfach vor die Tür gesetzt. Er würde schon<br />

sehen, ob ihn diese schreckliche Person Klarsen-Meyer auch<br />

so aufopfernd umsorgen würde. Die war doch ein richtiger<br />

Drachen, da würde Horst nicht viel zu lachen haben! Und<br />

seine Lieblingsfleischklöpschen konnte die ihm sicher auch<br />

nicht kochen.<br />

Und dieses verdammte Arbeitsamt! Die konnten doch ihr<br />

Leben nicht einfach zur ABM-Stelle erklären! Sie war doch<br />

immer schon Frau Meyer gewesen! Plötzlich setzte Frau<br />

Meyers Herz einen Schlag lang aus, und sie wurde von einem<br />

schrecklichen Gedanken heimgesucht: Oder etwa nicht?!<br />

Mein Gott, gab es da etwa ein Leben vor dem Leben?!<br />

Frau Meyer wurde von einem unerträglichen Schwindel<br />

erfasst, der Schädel drohte ihr zu platzen, und auf einmal<br />

wusste sie: ‚Oh mein Gott, ja, ich lebe ja erst seit knapp zwei<br />

Jahren bei Horst! Ja, ja, im Juni 1997 bin ich bei ihm eingezogen<br />

und hab‘ dann auch gleichzeitig im Büro angefangen.‘<br />

Doch so sehr Frau Meyer auch versuchte, sich daran zu<br />

erinnern, was vor ihrem Leben mit Horst gewesen war – vor<br />

ihrem inneren Auge wallte nichts als schwarzer Nebel.<br />

‚Das ist ja furchtbar! Wenn ich nicht mehr Frau Meyer bin,<br />

wer war ich früher, und wer bin ich jetzt?!‘<br />

Und dann fiel ihr noch etwas Furchtbares ein: ‚Ich hab‘ ja<br />

meine Waschtasche gar nicht mit – womit soll ich mir denn<br />

nun die Zähne putzen?!‘<br />

Feuilleton<br />

Völlig zerstört warf sich Frau Meyer auf das Bett, das<br />

unter diesem Ansturm gefährlich nachgab und ärgerlich<br />

quietschte. Leise weinte sich Frau Meyer, die ja eigentlich<br />

nicht mehr Frau Meyer war, in den Schlaf.<br />

Und da suchte sie ein grauenhafter Alptraum heim: Frau<br />

Meyer lag zu Hause in ihrem Bett auf frisch gestärkten, blütenweißen<br />

Laken. Neben ihr lag Horst und hatte ihr zuliebe<br />

den neuen, feschen Schlafanzug mit dem männlichen Karomuster<br />

an, den Frau Meyer ihm zu Weihnachten geschenkt<br />

hatte. Ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten drehte<br />

ihr Horst nicht gleich seinen Rücken zu und begann zu<br />

schnarchen, sondern schaute sie sehr liebevoll, ja geradezu<br />

begehrlich an. Frau Meyer wurde es warm, ihr Herz begann<br />

stürmisch zu klopfen. Immerhin war es jetzt schon ein paar<br />

Monate her, dass Horst sie so angesehen hatte. Horst näherte<br />

sich ihr Stück um Stück. Sein Blick wurde immer feuriger<br />

– geradezu unwiderstehlich! Mit ein bisschen Phantasie<br />

hatte er jetzt sogar etwas von Costa Cordalis. Gleich, gleich<br />

würde er sie küssen! In wonniger Verzückung schloss Frau<br />

Meyer die Augen – soweit dies im Traum möglich ist – und<br />

erbebte unter der Süße der Erwartung.<br />

Doch da schlug ihr plötzlich ein ekliger Geruch entgegen<br />

– sie erkannte tief in ihrem Inneren dieses widerliche<br />

Gemisch aus abgestandenem Fusel und kaltem Zigarettenrauch.<br />

Böses ahnend öffnete sie die Augen. Und da war es<br />

nicht mehr Horst, der ihr voll Verlangen die Lippen entgegenschürzte,<br />

sondern sie blickte in die ungepflegte Visage<br />

eines geilen Trunkenboldes! Vor Gier sabberte es aus dessen<br />

Mund auf das Kopfkissen, seine Augen waren blutunterlaufen,<br />

eitrige Entzündungen und Pickel entstellten das sowieso<br />

schon unansehnliche Gesicht dieses Unmenschen. Mit seinen

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