Vorige Seite: die Stadt Tacoblan auf der philippinischen Insel Leyte nach dem Durchzug des Taifuns »Haiyan« im November 2013 Foto: Caritas InternationalZUFLUCHTim 16. Jahrhundert das Christentum auf die Philippinengebracht und seitdem spielen die Geistlicheneine sehr dominante Rolle. Man kannwirklich sagen, dass die Kirche neben Politik undMilitär die dritte Macht im Staat ist. Sie ist sichdieser Rolle sehr bewusst und nutzt sie auch aus.Beispielsweise kämpfte sie aktiv gegen DiktatorFerdinand Marcos, sie mischte aber auch in derFamilienpolitik mit, wenn es zum Beispiel um diesexuale Erziehung an Schulen geht. Mit der Parole»Verhütung ist Abtreibung« wehrt sich die Kirchegegen die Verteilung von Kondomen an dieÄrmsten der Armen, indem sie unter anderemDruck auf Politiker ausübt.Bisher haben die Philippiner ihren geistlichenWürdenträgern immer auch Gehorsam geleistet.Ich habe aber beobachtet, dass sich in den letztenein, zwei Jahren die Wirkung von politischenAussagen, beispielsweise Wahlempfehlungen,nicht mehr so entfaltet wie früher. Das könntenzaghafte Ansätze sein, dass der Einfluss der Kircheetwas zurückgeht.Meinen Sie, dass sich eine solche Tendenz nurauf den Kirchengehorsam auswirkt oder auch aufden persönlichen Glauben?Es gibt eine wachsende Mittelschicht auf den Philippinen,in den letzten zehn Jahren habe ich daBewegung gesehen. Und ich glaube, diese Leutefragen sich, was erzählen die uns da eigentlichvon der Kanzel? Warum sind sie nicht für uns alsHirte da, sondern sagen uns, für wen wir bei dernächsten Wahl unser Kreuzchen machen sollen?Es könnte vielleicht eine wachsende Kirchenkritikgeben, aber dass die Philippiner ihren Glaubenverlieren, das kann ich mir nicht gut vorstellen.Kann die Kirche mehr leisten als der Staat,um die Gemeinschaft in einer solchen Katastrophezusammenzuhalten?Ist das vor Ort vielleicht sogar so?HILJA MÜLLERist Korrespondentin des freien Journalisten-Netzwerks »Weltreporter«. Sie arbeitet seit 2002 inAsien, verbrachte seitdem neun Jahre auf denPhilippinen und berichtet derzeit aus Peking.Foto: privat»BISHER HABEN DIEPHILIPPINER IHRENGEISTLICHENWÜRDENTRÄGERNIMMER AUCHGEHORSAM GELEISTET.«Ja, das kann sie und hat das meines Wissensauch. Der Staat hat relativ versagt – relativ aufgrunddes gewaltigen Ausmaßes dieses Taifuns:Ein Entwicklungsland wie die Philippinen ist miteiner solchen Katastrophe einfach überfordert.Nichtsdestotrotz wurde in Manila die Tragweitedes Taifuns schlimm unterschätzt, die Führungist, salopp gesagt, zu spät in die Socken gekommen.Während die Regierung nicht die notwendigenMaßnahmen in die Wege geleitet hat, warund ist die Kirche Zufluchtsort. Sie hat ihre Türengeöffnet und beispielsweise Ruheräume fürHochschwangere eingerichtet. In anderen Kirchenkonnten Gläubige zum Gebet zusammenkommen.Ein Ort der Ruhe und der Stärke bedeutetden Philippinern ungemein viel, derStaat kann das nicht leisten. Der Staat hat zwarauch andere Aufgaben, die hat er aber in diesemFall nicht besonders gut erfüllt: Militär und Polizeikamen zu spät, Hilfslieferungen auch.In einem so gläubigen Land, wird der Taifun daals Strafe Gottes gewertet?Nein. Taifune gehören für die Philippiner einfachdazu. So wie wir die Jahreszeiten haben,>>ADLAS 4/2013 ISSN 1869-1684 26
ZUFLUCHTgibt es auf dem Archipel eine Taifun-Saison undeine Regenzeit. Dann gibt es dort etwa zwei Dutzendtropischer Stürme, die da durchziehen. Dass»Haiyan« jetzt mit solch einem gewaltigen Ausmaßüber das Land zog, wird aber nicht als eineStrafe gesehen, sondern als mögliche Folge einesKlimawandels gewertet.Geht die Kirche gestärkt aus der Katastrophehervor, weil sie für die Menschen in der Not da ist?Nein. Es hat schon zu viele Katastrophen auf denPhilippinen gegeben. Jedes Jahr passiert ein großesUnglück mit zahlreichen Toten. Ich glaubenicht, dass diese jüngste Katastrophe irgendwelcheVeränderungen im Glauben oder der Religiositätbewirkt.Es mag zynisch klingen, aber Philippiner sind esgewöhnt, dass ihr Land regelmäßig von großenKatastrophen heimgesucht wird. Sie schaffen esimmer wieder, wie Stehaufmännchen, aus Desasternwie diesem die Trümmer zusammenzuklaubenund neue Häuser zu zimmern.»DAS LEBEN DES ÜBERWIEGENDEN TEILS DERBEVÖLKERUNG IST SEHR EINFACH UNDSCHWIERIG ZUGLEICH – DESWEGEN BRAUCHENSIE IHREN GLAUBEN.«Das Leben der Bevölkerung, zumindest desüberwiegenden Teils dort ist sehr einfach undschwierig zugleich – deswegen brauchen sie ihrenGlauben, das wird sich nicht ändern. Die katholischeKirche ist einfach eine Konstante fürdie Philippiner.Überlebende feiern nachdem Taifun »Haiyan«einen Gottesdienst inden Trümmern derKirche von Lo’on in derphilippinischen ProvinzBohol, November 2013.Foto: Mathias Eick / EU/ECHO /lizensiert gemäß CC BY-ND 2.0QUELLEN UND LINKS:Bericht »Die Ohnmacht der Helfer« von HiljaMüller auf Spiegel Online vom 11. November 2013»Philippines 2012 International ReligiousFreedom Report« des »Bureau ofDemocracy, Human Rights and Labor« imUS Department of State vom Mai 2013Peter Kreuzer: »Die Gewalt der Herrschenden.Soziale Kontrolle im Süden der Philippinen«,HSFK-Report Nummer 1/2011ADLAS 4/2013 ISSN 1869-1684 27