FORSCHUNG UND LEHRE IIduellen Entscheidungen. Eine Betrachtung des gesamten Systems, in dem dieeinzelnen Forschenden nur ein Teil der Akteurslandschaft sind, ist in anderenethisch kontroversen Bereichen – wie etwa der Genforschung – unbestrittenerStandard. Eine Zivilklausel versucht, ähnliche institutionelle Rahmenbedingungenfür sicherheitsrelevante Forschungsbereiche zu schaffen. Damit wirdein Bewusstsein für eben dieses System und die dortige Verantwortungskettegebildet. Denn in einer dem Frieden verpflichteten Verfassungsordnung darfdie Freiheit der einzelnen ForscherInnen nicht dazu führen, dass das kollektiveGut des Friedens – beispielswiese durch einen rechtswidrigen Einsatz vonWaffen, die gegebenenfalls mithilfe deutscher Hochschulen entwickelt wurden,gegen Demonstrierende in anderen Staaten – gefährdet wird.Forschung ist politisch, steht immer im Kontext von etwas, und wird immerfür jemanden betrieben. Gerade bei expliziter Auftragsforschung kannnicht beansprucht werden, dass sie wissenschaftlich neutral, objektiv undwertfrei sei. Und dass Transparenz und kritische Auseinandersetzung derWissenschaft schaden, kann kein ehrliches Argument sein. Eine Zivilklauselist weder Maulkorb noch Zwangsjacke. Eine Zivilklausel beschränkt Forschung,die in bewaffneten Konflikten gegen Menschen zum Einsatz kommtund fördert durch Transparenz ein Bewusstsein für wissenschaftliche Verantwortung.Das gilt auch für Grundlagenforschung.Die Kette, welche vom Labor gegebenenfalls zum niedergeschossenenDemonstranten führt, ist sicher lang und komplex, muss aber gerade deshalbtransparent sein. Universitäten, gerade in einem Staat, dessen Verfassungdem Frieden in der Welt verpflichtet ist, stellen sich mit einer Zivilklauselgegen den Kreislauf aus Unterfinanzierung, Abhängigkeit von Drittmitteln,Intransparenz gegenüber den eigenen Studierenden und Ignoranz darüber,was es am Ende eines Tages bedeutet, für Rüstungsfirmen und kriegführendeStaaten zu forschen. Deshalb sind Zivilklauseln in den Grundordnungen derHochschulen in Deutschland so wichtig.ethisch unbedenklich etikettieren. Im Umkehrschluss ließe daraus sichfolgende Analogie bilden: Die Entwicklungsforschung für neues Feldbesteckder Bundeswehr ist ethisch nicht vertretbar, die Entwicklung vonDie von naiver Chuzpezeugende Grundhaltung kannnicht überzeugen.neuer Scharfschützenmunition für die Spezialeinsatzkommandos der Polizeienhingegen schon. Die Legitimation der Sicherheitsbehörden Militärund Polizei wird also unterschiedlich gewichtet, obwohl beide eine festeVerankerung in der Verfassung haben und beide gegebenenfalls Menschenverletzten oder gar töten müssen.Für den Forschungsalltag sind Zivilklauseln kaum tauglich, denn sielassen sich nicht störungs- und nebenwirkungsfrei implementieren. DasBerliner Beispiel macht offensichtlich, wie ihre nur halbwegs konsequenteEinführung und Umsetzung zu einer ausufernden Bürokratieketteführt, an deren Ende, so lässt sich vermuten, nur frustrierte Forscher,überforderte Universitätsverwaltungen und streitende ASten stehen.Zivilklauseln stehen rechtlich auf höchst wackeligen Beinen, ihre ideologischeBegründung ist vage und widersprüchlich. Nicht zuletzt mangeltes bis heute an einer brauchbaren Handhabung im universitären Alltag.Sie sind folglich für die freie Forschung nur hinderlich. Ihre Einführungund Umsetzung an Hochschulen zu verhindern, ist daher absolutgerechtfertigt.Vanessa Tiede studiert Internationale Politik und Internationales Recht an derChristian-Albrechts-Universität zu Kiel.Heiko Rohowski studiert Politikwissenschaft und Pädagogik an der Christian-Albrechts-Universitätzu Kiel.Anmerkung der Redaktion: Die hier veröffentlichten Texte geben ausschließlich die Meinungen der beiden Autoren wieder. Sie sind ausdrücklich weder ein e Meinungsäußerung des BSH noch der Redaktion.ADLAS 4/2013 ISSN 1869-1684 52
DIE WELT UND DEUTSCHLAND: ENERGIEGas gegen Wertevon Ricarda ScheeleIn einer Zeit der Verknappung globaler Ressourcen wird die Energiepolitik Europas beinahezwangsläufig Teil seiner Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei versucht die EU, mit ihrerEnergieaußenpolitik wirtschaftliche Interessen mit normativer Verantwortung in der Welt zuvereinbaren. Das scheitert bisher jedoch an mangelnder Einsicht der beteiligten Akteure – allen voranden Nationalstaaten, aber auch den Energieunternehmen – in die langfristige Notwendigkeit einerwerteorientierten Politik. Eine gemeinsame Linie bleibt vorerst Wunschdenken. >>Bundeskanzlerin Angela Merkel, der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew und EU-Energiekommissar Günther Oettinger, und andere, bei der Eröffnung der »Nord Stream«-Pipeline in Lubmin im November 2011. Foto: Nord Stream AGADLAS 4/2013 ISSN 1869-1684 53