Das Cenerentola-Bühnenbild | Rolf Glittenbergdas cenerentola-BühnenbildRossinis La cenerentola ist für mich ein Fairy Tale, das eher etwas mit Alicein Wonderland und dem verrückten Hutmacher zu tun hat und nichtmit Grimms Märchen. Die Räume für die verarmte Welt Don Magnificossollten sich so deutlich wie möglich von dem Schloss des Prinzen Ramirounterscheiden.Deshalb sehen wir vom Hause einen sehr flachen Flur mit fünf Garderobeschränken.Dieser schäbige Flur mit den Resten einer Gemälde galerieliegt vielleicht vor dem ehemals glänzenden Ballsaal des Hauses. Alle Räumedes Anwesens sind völlig unbewohnbar geworden. Deshalb schläft derHausherr auch in einem Schlafsack in einem der Schränke, eine Art Notkücheist auch da und zauberischer Weise kommt ein Waschtisch plötzlich an Stelleder Schlafimprovisation zum Vorschein. Und das berühmte Temporale?Das Wasser fließt unerwartet in den Kästen. Der extrem flache Raum mitseinen verblichenen Farben – selbst die Sessel haben Überbezüge und damitdie Farbe verloren – ist ein starker Kontrast zur Welt des Prinzen.Ramiro hat ein Hobby: Er sammelt Oldtimer und hat seine schönen Wagenin einer Halle seines Schlosses untergebracht. Rolltore wie in Garagensind in dem Bau aus dem Ende des 19. Jahrhunderts angebracht worden,Leuchtstoffröhren beleuchten seine Sammlung.Ramiros Vater hatte früher die erste Etage als Büro für seine Amtsgeschäftebenutzt. Pompös zieren die Fahnen San Sognos und sein Bild den Arbeitsplatz.Im Gegensatz zu Magnificos bleicher Behausung hat hier ein italienischwarmerGelbton die Architektur überzogen.Premierenbesetzung 2013, Dmitry Korchak als Don RamiroDer Grundcharakter der Räume ist auf den ersten Blick realistisch, wieauch Rossinis Oper mit scheinbar realen Situationen anfängt, um dann ganzschnell in den Strudel von Verirrung, Emotionen und rasender Schnelligkeitzu gelangen. Die realistische Ebene wird ständig zugunsten der Musikverlassen, sie bietet den Anlass, um in das subtile Feuerwerk der fantastischenEnsembles zu münden. Deshalb sollte das Bühnenbild auf keinen Fall einenur realistische oder gar naturalistische Erzählweise haben. Die Räume habenetwas von Trompe-l’œil und Irritationen.104105
Die Cenerentola-Kostüme | Marianne GlittenbergDie Cenerentola-Kostüme | Marianne Glittenbergdie cenerentola-KostümeWie beginnen die Überlegungen zur „Konzeption“ einer „komischen Oper“,wenn man aufgrund der wunderbaren Heiterkeit der Musik Rossinis nicht zueiner drastischen Aktualisierung greifen möchte – obwohl die Konstellation„grausamer Vater – misshandelte Tochter“, wenn man die Cenerentola-Geschichte auf diesen Ausgangspunkt reduzieren möchte, heute in vielradikalerer Grausamkeit leicht in den Nachrichten zu finden wäre?Das Primat der Musik ist bei diesen Überlegungen von noch höherem Vorrangals bei Opern mit ernsten Libretti, da ein „Märchenstoff“ ja eigentlich kein„realer“ Stoff ist, die Figuren nicht unbedingt ausgebildete Charaktere unddie Ereignisse oft eben „wunder“-bar unwirklich sind.Im Falle der Kostümgeschichte der Oper haben sich Erzählweisen entwickelt,die, sei es durch Paraphrasierung von commedia dell’arte-Figuren oder durchÜbertreibungen, Karikierungen oder scheinbare Fantastik, in unzähligenVariationen angewandt, keinerlei speziellen Aspekt erreichen und ohne jedenInhalt oder jede Aussage in Beliebigkeit ersticken. In diesem Sinne ist eintypisches „Opernkostüm“ ein Feindbild, das ich unbedingt vermeiden wollte.Eine andere anfängliche Überlegung – in welche Zeit man die „Neuerzählung“eines Stückes ansiedeln möchte (da wir ja heute gewöhnt sind, jede möglicheEpoche zu wählen, die uns sinnvoll erscheint), führt auf denselben Punkt:ohne realistische Bindung der Figuren schien mir diese Oper nicht darstellbar.Die Vorstellung einer Cenerentola als armes Küchenmädel mit historischemlangen Flicken-Rock und geschnürtem Mieder schien mir ein Klischee vonopernhafter „Beschönigung“, die mich wenig rührt. Es schob sich – ein Lobder „italianità“ – das Bild Anna-Magnani-hafter Frisuren und Kittelkleider als„wirklicher“ vor die Historie, frühe Visconti- und Fellini-Filme der beginnenden50er-Jahre und dann sogar das leichtlebige Dorfklima aus Anthony MinghellasTom Ripley-Film, in dem soziales Elend schon gar kein Thema mehr ist,sondern eher Sonne und Vespa-fahrende Lebensfreude, bildeten mir eineVorstellung, in der diese Geschichte sich abspielen könnte. Unter realistischenFiguren in einer genauen, erzählerischen Gestaltungsweise, die ich in diesemZusammenhang „Schauspiel“-Kostüme nennen möchte, da man dort per seder Realität etwas näher ist. – Nur eben, dass mir dieses dem Sprechtheaterverbundene Arbeiten hier eher dazu zu führen schien, der Musik der Opergerecht zu werden in dem Sinne, dass sich in der genannten Beschreibungrealer Figuren besser ein Gesamtklima, eine „Welt“, in der man sich befindet,eben ein „Kostüm-Bild“ erstellt, das mir als Ganzes immer wichtiger ist alseinzelne „Kleider“.Die Erfindung der Bevölkerung des Dorfes San Sogno war denn auch eine dervergnüglichsten „Kostümbesprechungen“, die ich mit Sven-Eric Bechtolf undRolf Glittenberg hatte, allerdings auch die arbeitsreichste, da wir im Nu einePersonage zusammengetragen hatten, um eine ausgewachsene Kreisstadt zufüllen. Da eine kostümtaugliche Liste der dramatis personae herauszufilternund dem geliebten Rossinischen Männerchor-Charakteristikum eine leichteSchräglage zu verpassen, um auch einen kleinen weiblichen Anteil nicht zuunterdrücken, war eine sehr angenehme Schwerarbeit.Die „Subjektivität“, die mir in der Arbeit immer sehr wichtig ist, erlaubte mirauch einige „Spitzen“ durch Zitate von Allgemeingut gewordenen Bildern,wie die Männer mit Fellinis Haarnetzen oder die Brautjungfern der Hochzeitvon Grace Kelly oder Persönliches wie die himmelblaue Hose des Eismannes.Unerfüllt blieb, wie fast immer, der Wunsch, nicht nur auf das Klima derMusik im Ganzen, sondern auf Lieblingsstellen im Einzelnen einzugehen. Zuden wenigen Takten, mit denen die Gewittermusik endet – in vollkommenfriedlicher Besänftigung, als wolle Rossini in dieser Ruhe auch den „nodoavviluppato“ und den „vertice del lor’cervello“ , das verwirrte Unverständnisim beschränkten Hirn der Handelnden damit lösen – dazu ließen sich leiderkeine Kostüme erfinden. Schön, dass man Ohren hat!106107