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DER GRAMMATISCHE TIGERSPRUNG. - DiVA

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Melzer, der ehemalige Leutnant, erwirbt den „Zivilverstand", indem erdie konventionelle, herrschende Sprache seiner Umgebung durchschautund zu einer eigenen echten Ausdrucksweise gelangt. Für diesenVorgang - „es war, als zöge ihn die Sprache" (Stiege, 763) - verwendetder Autor die Termini Sprachwerdungund Menschwerdung, die fürihn fast identisch sind. (Siehe hierzu unten Kap. 5 und Lidén 1970,Kap. VI Melzers Weg zur eigenen Sprache.)Der Gurtweberei-Arbeiter Leonhard Kakabsa, eine der positiven Gestaltenin den Dämonen, beginnt aus Zufall ( wieder ein Doderer-Terminusmit einer erweiterten und vertieften Bedeutung 11 ), die lateinischeSprache zu studieren, wodurch die Vorstellung von Sprache als Systembei ihm erwacht. Er entdeckt, daß er die „Dialektgrenze" überschrittenhat, zuerst unbewußt im Traum, dann bewußt beim Sprechen: „Dieinnere Sprache stand an der Schwelle der äußeren" (Dämonen, 531).Schließlich wird ihm klar, daß er den Zugang zu einer neuen geistigenWelt erobert hat. (Siehe über Kakabsas innere Sprache unten Kap. 5;eine eingehende Analyse der Sprachthematik in den Dämonen beiSchmidt-Dengler 1974. 12 ).Um die sprachliche Dynamik zu veranschaulichen, verwendet ermetaphorische Ausdrücke und scheut dabei nicht vor altbewährten,zeitlosen Bildfeldern zurück, die er aber in immer neuen Variationen fokussiert:das Bild des Fließens, z.B. der Glasfluß des Logos, oder dasBild des Sprunges, der Saltus grammaticus oder der grammatischeTigersprung aus dem dunklen unbewußten Reich des Unbenannten indie Klarheit des Wortes. Im Fundamentalsatz (3) aus dem Jahr 1930,der von der „zauberischen" Sprachentstehung in vergangenen Zeitenhandelt, stehen beide Bildfelder nebeneinander:(3) Denn dem Geborenen kommt die Welt schon so zauberisch-verwandt entgegen,als wär' sie von ihm geschaffen, ihm ureigen, und zwischen dem Werdenden(dem Keim in seiner Brust) und dem Gewordenen (der Fülle fertiger Formen)klafft kein Widersatz, da alles dort außen sich im gleichen lebendigenFluße befindet wie hier innen, ständig neu, von keiner Benennung noch einzuholen.So ist jeder, aus dem Kerne in die Mittel kommend, und jenen mächtig11. Siehe dazu Werkgartner Ryan 1986: Zufall und Freiheit in Heimito von Doderers,J)ämonen".12. Schmidt-Dengler 1974: Die Thematisierung der Sprache in Heimito von Doderers„Die Dämonen", ist ein Beitrag des Sammelbandes Sprachthematik in der österreichischenLiteratur des 20. Jahrhunderts. Zu diesem beliebten Themenbereich gibtes mehrere Untersuchungen, u.a. Weiss 1972 und Klein & Scheichl (Hrsg.) 1982.8

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