e-xilant öffentlich versteckt - brut Wien
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„So schön kann Notstand sein“<br />
Die ersten drei Tage Notstand in <strong>Wien</strong><br />
von Theresa Naomi Hund, 11.04.2011<br />
Notstand. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung bezeichnet<br />
dieser allgemein „einen die Lebensbedingungen gefährdenden<br />
Zustand, der nur mit außergewöhnlichen Mitteln<br />
beseitigt werden kann (…)“ Barbara Ungepflegt hat da(zu) eine<br />
Idee. Schließlich macht Not erfinderisch. Tag 1: Ein Standort in<br />
Not? Ein Notstand auf dem Vorplatz des Künstlerhauses. Dessen<br />
Besitzerin ist Barbara Ungepflegt, welche am 08.04.2011<br />
gegen 19.10 offiziell den Notstand in <strong>Wien</strong> eröffnet hat. Der<br />
Notstand wird hier verkörpert durch einen Hochstand, welcher<br />
von Notbedürftigen täglich für eine Stunde bestiegen werden<br />
darf. Anstatt rauszugucken, schaut man hier rein. Steigt<br />
die Holztreppe hinauf und begibt sich in den Innenraum des<br />
Außenraumes, dann gibt es allerlei zu entdecken. Lebkuchen,<br />
Postkarten, ein Video von und mit Frau Ungepflegt, ein akustisches<br />
Klangerlebnis, welches durch Ziehschnüre aktiviert<br />
werden kann, eine Sitzbank, ein Gästebuch, welches anhand<br />
der Abnutzungsspuren bereits in vielerlei Händen gewesen<br />
zu sein scheint. Ein Notstand mit Geschichte. Erinnerungen<br />
an frühere Kindheitstage, an Wald und Wiesen, an heimliche<br />
Versteckspiele in Hochsitzen. Im Gegensatz zu früher kommt<br />
heute aber kein Jäger mehr, der einen verjagt – im Gegenteil.<br />
Die Gegenwart meint es gut mit uns und schickt uns Frau Ungepflegt,<br />
welche zwar in Jagdgewand gekleidet, jedoch nicht<br />
als Moralpredigerin, sondern als Bedienerin fungiert. Sie fragt<br />
nach unseren Notständen und versucht, ganz im Sinne ihrer<br />
Bedienerrolle, diese zu lindern. Bereits in den ersten Minuten<br />
ihrer Live-Art-Performance wird deutlich, dass im Notstand<br />
ein anderer Ton angeschlagen wird. Da ist tatsächlich jemand,<br />
der helfen will, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen –<br />
Irritation. Man ist ja eher skeptisch als beglückt. Wen wundert<br />
es? Wo gibt es denn heute noch was umsonst? Nichtsdestotrotz,<br />
der Notstand interessiert. Hier tritt er nun endlich für<br />
jeden sichtbar, fühlbar, sogar begehbar in Erscheinung. Aber<br />
das ist für die meisten dann doch zu viel, sie bleiben lieber in<br />
sicherer Distanz.<br />
Notstand bildet. Tag 2: Heute auf dem Programm? Notstandsjapanisch<br />
für Fortgeschrittene und die Ziehung des<br />
Gewinners des gestrigen Gewinnspiels. Bei diesem konnten<br />
alle Besucher des Eröffnungstages teilnehmen, der Sieg ist<br />
eine Übernachtung mit Candle-Light-Dinner im Notstand, das<br />
mögliche Notstandsessen: „Falscher Hase“. Der Glückliche ist<br />
Eduard, doch leider erfährt dieser aufgrund seiner Abwesenheit<br />
erst später von seinem Gewinn. Die Anwesenden haben<br />
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zuvor schon Glück, so lernen sie, dank Langenscheidt, ein paar<br />
japanische Wörter. Der Notstand ist aktuell, greift globale<br />
und gesellschaftspolitische Themen auf. Einzelne Besucher<br />
werden auch heute wieder nach ihren Notständen befragt.<br />
Frau Ungepflegt, ganz Menschenfreund, posaunt die Antwort<br />
ihrer Notleidenden nicht in die Runde, sondern versucht visà-vis<br />
zu helfen. Immer mal wieder traut sich ein Notdürftiger<br />
empor, und manchmal wird der Abstieg mit einem Hornblasen<br />
belohnt. Das Japanischüben geht weiter, das Wörterbuch wird<br />
zwischenzeitlich auch gerne aus der Hand gegeben. Integration<br />
statt Segregation. Man ist Teil der ganzen Szenerie, die<br />
Bühne ist dabei der ganze Vorplatz und die Protagonisten sind<br />
wir, die Besucher, die Interessierten, geführt und gelenkt von<br />
Barbara Ungepflegt.<br />
Not macht hungrig. Tag 3: Sonntag Ruhetag? Nicht im Notstand.<br />
Dieser öffnete wieder um 19 Uhr seine Pforten. Doch<br />
heute scheint alles anders. In Jeans und Pulli, ohne Blashorn<br />
und Hut bedient Frau Ungepflegt an ihrem Arbeitsplatz. Heute<br />
steht der Notstand ganz für sich, ohne viel Tamtam. Warten.<br />
Warten auf Godot? Nein, auf den Pizzaboten. Der gestrige<br />
Hunger mancher Notleidender ist wohl am Ort haften geblieben.<br />
Eine Notstandshelferin ruft beim Pizzataxi an: „Eine Pizza<br />
zum Notstand, bitte.“ Der Taxifahrer lässt sich sicherheitshalber<br />
die Handynummer geben. Denn wo bitte ist der Notstand?<br />
Warten. Immer mal wieder kommen Interessierte vorbei, einige<br />
wenige trauen sich. Kein Blasen, kein Applaus. Ist der Notstand<br />
heute im Ruhestand? Morgen ist Montag - vielleicht ist<br />
es auch die Ruhe vor dem Sturm. Der Notstand sollte entdeckt<br />
werden. Ob es acht Tage braucht, um die Mission Notstand zu<br />
erfüllen, ist zu hinterfragen. Doch warum die Hetze? Vielleicht<br />
ist es gerade das, was Frau Ungepflegt uns hier auf dem Notstand<br />
schenkt - Zeit. Sie ist die Antagonistin zu Momos grauen<br />
Männern, welche dem Kind in uns die Zeit stehlen wollen. Hier<br />
haben wir sie nun täglich von 19 bis 20 Uhr für uns und mit<br />
Barbara Ungepflegt. Zwischenbilanz: Ein Notstand ist nicht<br />
gleich ein Stand in Not. So stellte der erste Besucher des Notstandes<br />
folgerichtig fest: „So schön kann Notstand sein.“