e-xilant öffentlich versteckt - brut Wien
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Ja, es wird wirklich richtig geküsst, und ja, es dauert auch<br />
wirklich eine Stunde, und noch mal: Ja, es wird nichts anderes<br />
gemacht außer eben küssen. Mal langsam, mit Leidenschaft,<br />
mal mit Akrobatik, und zum Schluss ein Abschiedstänzchen.<br />
Mit der Performance Romantic Afternoon haben Verena Billinger<br />
und Sebastian Schulz das Thema wie den Nagel auf den<br />
Kopf getroffen: Küssen=privat, Küssen+Öffentlichkeit=Rückzug<br />
ins Öffentliche.<br />
Man wird kurz von den Schauspielern durch einen Gedankengang<br />
geführt, der einen in eine sehr angenehme und<br />
verträumte Stimmung versinken lässt. Denn man kennt das<br />
Gefühl eines Kusses, der langsam, aber spannend, dann wieder<br />
intensiv und atemlos ist. Man fragt sich auch, ob die sechs<br />
Schauspieler nicht etwas beim Küssen fühlen. Vielleicht erregt<br />
werden. Durch die kleinen Lacher, die die Schauspieler ab<br />
und zu von sich geben, lässt sich doch eine Art Zufallsprinzip<br />
der Partnerwahl und Spontaneität des Stücks spüren. Diese<br />
Gedanken verfliegen aber schnell und man landet wieder<br />
im beleuchteten Zuschauerraum. Die akrobatischen Künste,<br />
die die Performer beim Küssen auf der Bühne hinlegen wie z.<br />
B. Purzelbäume, im sich abwechselnd tragend, beim Küssen<br />
auf den Schenkeln des Partners sitzend, lassen einen doch<br />
die Theatralität spüren. Von Intimität, die ein Kuss eigentlich<br />
vermitteln sollte, spürt man nach einiger Zeit wenig. Der Kuss<br />
wird zu einer Orgie, jeder küsst jeden, und es wird fast zu einer<br />
lächerlichen Angelegenheit.<br />
Von einer Art von Scham und Voyeurismus merkt man beim<br />
Beobachten wenig, wohl weil in der wirklichen Öffentlichkeit<br />
zu wenig geküsst wird oder aufgrund der Tatsache, dass man<br />
im Theater sitzt und man des Zusehens wegen hingeht. Oder<br />
vielleicht auch deswegen, weil man einfach von Erotik aus dem<br />
Alltag so überladen ist, dass man nach zwanzig Minuten genug<br />
gesehen hat – gegangen ist jedoch niemand, und der Applaus<br />
des Publikums spricht dafür, dass es einigen gefallen hat.<br />
Obwohl die Blicke während der Aufführung oft abwesend<br />
wirkten und man vielleicht durch das helle Licht öfter eingeladen<br />
war, die Reaktionen anderer zu beobachten, haben einige<br />
immerhin ihre Einkaufsliste in der Stunde fertiggedacht.<br />
38<br />
Ein Kuss für Blickfänger<br />
Kritik von Eliˇska Cikán, 12.04.2011<br />
Niemand bleibt ungeküsst<br />
Kritik von Jennifer Vogtmann, 13.04.2011<br />
Der Kuss gilt in vielen Kulturen als Ausdruck von Liebe und<br />
Zuneigung und wird je nach Dauer und Intensität auch als<br />
sexuelle Handlung verstanden. Durch das Berühren der Lippen<br />
(und Zungen) zweier Menschen wird die körperliche Distanz<br />
beinahe vollständig aufgehoben. Daher küssen sich meist Menschen,<br />
die in einem intimen Näheverhältnis zueinander stehen.<br />
In einigen Kulturen gilt es aufgrund der dem Kuss zugeschriebenen<br />
sexuellen Komponente als verpönt, sich in der Öffentlichkeit<br />
zu küssen. Mancherorts ist dies sogar verboten.<br />
Was passiert nun aber, wenn das Küssen aus dem ansonsten<br />
kulturell üblichen Kontext gerissen und auf der Bühne zur<br />
Schau gestellt wird?<br />
Romantic Afternoon. Sechs Menschen stehen am Bühnenrand.<br />
Der Raum ist hell erleuchtet. Langsam nähern sich die Darsteller<br />
wortlos und Schritt für Schritt einander an. Dann die<br />
ersten Küsse, die immer intensiver werden. Partnerwechsel. Es<br />
küssen sich Frauen und Männer, Frauen und Frauen, Männer<br />
und Männer, und siehe da, ein Raunen wird im Publikumsraum<br />
hörbar. Kuss-Staffellauf. Das Licht wird gedimmt. Die Darsteller<br />
räkeln sich miteinander am Boden. Sie küssen sich unentwegt.<br />
Sie küssen zu zweit, zu dritt, zu sechst. Berühren sich gegenseitig.<br />
Sexuelle Handlungen werden angedeutet. Zwei Darsteller<br />
tauschen ihre Hosen. Kein gesprochenes Wort. Kaum musikalische<br />
Untermalung. Nur Küsse, Schmatz- und Atemgeräusche.<br />
Und das Publikum? Einige verlassen den Raum. Andere blicken<br />
schmunzelnd und gebannt auf die Bühne. Wieder andere<br />
sehen sich unschlüssig um. Ein Paar lächelt sich an und schließt<br />
sich den küssenden Darstellern an. Das Paar zieht einige Blicke<br />
im Publikum auf sich. Sie werden angelächelt. Und auf der<br />
Bühne wird unterdessen unentwegt weitergeküsst. Jeder mit<br />
jedem und jeder für sich. Schattenküssen. Doch wo ist die Romantik<br />
in dieser einstudierten Performance? Vermutlich liegt<br />
sie in jedem von uns. Der Anblick dieser zur Schau gestellten<br />
Küsse löst wohl in jedem von uns etwas aus. Manche fühlen<br />
sich womöglich peinlich berührt, andere aber denken vielleicht<br />
an ihren oder ihre Liebste(n). Einige überkommt möglicherweise<br />
der Wunsch, sich auch wieder einmal einem Menschen<br />
auf diese intime Weise zu nähern, oder sie werden erinnert an<br />
eigene Kuss-Erfahrungen“.<br />
In Romantic Afternoon wird die intime zwischenmenschliche<br />
Handlung des Küssens, die meist in den eigenen vier Wänden<br />
oder zumindest abgeschieden von der Öffentlichkeit vollführt<br />
wird, nach außen gestülpt und als Choreografie auf die Bühne<br />
gebracht. Die Auflösung liegt wohl in jedem einzelnen Zuseher<br />
selbst. Welche Gefühle, Erinnerungen, Emotionen löst der<br />
Anblick der küssenden Darsteller in jedem von uns aus? Die<br />
Antworten mögen unterschiedlich sein, doch in jedem Fall<br />
haben Verena Billinger und Sebastian Schulz mit ihrer Performance<br />
Romantic Afternoon etwas in uns ausgelöst.