e-xilant öffentlich versteckt - brut Wien
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fant. Virt. Reisen: Die Anatomie des Freskos verlangt<br />
nach Schmiererei • Gedanken zu Freischwimmer 2011<br />
von Raimund Rosarius, 06.04.2011<br />
Dem Körper ist Zeit gestohlen, den Augen Ruhe.<br />
Das genaue Wort verliert seinen Ort. Der Schwindel<br />
Fliegt auf mit dem Tausch von Jenseits und Hier<br />
In verschiedenen Religionen, mehreren Sprachen.<br />
Überall sind die Rollfelder gleich grau und gleich<br />
Hell die Krankenzimmer. Dort im Transitraum,<br />
Wo Leerzeit umsonst bei Bewusstsein hält,<br />
Wird ein Sprichwort wahr aus den Bars von Atlantis.<br />
Reisen ist ein Vorgeschmack auf die Hölle.<br />
Durs Grünbein<br />
Mit dem Reisen hat es also angefangen, eine sich zusammenziehende<br />
Welt, die bald an ihrer geballten globalen Dörflichkeit<br />
erlahmte; die Entfremdungsprozesse¹ setzten ein.<br />
Der nächste Schritt, Couch, Bett und Hundekorb gar nicht erst<br />
zu verlassen, ist ein konsequenter. Wozu den Körper ermüden,<br />
für nichts und wieder nichts; Phantomvibrationsklingelei ist<br />
Muskelkontraktion genug und Entnervung ohnehin die Königsdisziplin<br />
der Ermüdung.<br />
Ohne den Tränenfilm, vom Bildschirmflackern evaporiert, kein<br />
Funkeln in den Augen; der Körper ist unendlich humorlos. Der<br />
Reiz der Ferne aus den Augen geklaubt, die Fantasie hat sich<br />
verzogen angesichts der evidenten Alltäglichkeit der großen,<br />
weiten Welt.<br />
Wieso nicht gleich und gleich zwingend das Grau in Grau über<br />
die Tasten schicken? Und schwärmen von der toten Fremde<br />
aus der nun wüsten Fantasie, hinein in die bewusste, in die<br />
tätliche Fiktion.<br />
Und dann doch ein letztes Aufbäumen, Packen der verbliebenen<br />
sieben Sachen zur Flucht. Der Körper versucht eine<br />
Flucht nach vorn, einen Rückzug ins Öffentliche, eine Flucht ins<br />
Exponat. Aus Feigheit vor der nur folgerichtigen Maschinenwerdung<br />
Mensch: Flucht in die Körperlichkeit, Flucht in den<br />
Pelz, Flucht in Säfte.<br />
Bei Freischwimmer 2011 haben wir ja alles, wofür es sich zu<br />
fliehen lohnt.<br />
Das Reisen: Wie überflüssig, als Freischwimmer durch die<br />
Lande zu tingeln und dabei die selbsterklärten Kulturmetropolen<br />
des deutschsprachigen Europas mit körperlichen Ertüchtigungen<br />
zu beglücken, lässt sich doch alles von der Couch aus<br />
streamen, was sich von der Couch aus futtern lässt. Und eben<br />
das Virtuelle, doch das ist – gebannt durch die Zügel und<br />
Ketten der Bühne zum Anschauungsobjekt – eine gefährliche<br />
Harmlosigkeit. Rückzug auf Bühnen oder bühnenähnliches<br />
Territorium, also Welt – wie man Alles nannte, bevor auch das<br />
virtuell wurde.<br />
Doch was begegnet uns dort? Tiere und Puppen. Verstreut<br />
aus Riten, allesamt Fetische. Die, die wir anschicken, die Welt<br />
für uns zu erfahren, sind Halbwesen, humanoide Avatare: ein<br />
wenig noch wir und doch schon ganz anders.<br />
Vor einigen Wochen wurde „Das blinde Geschehen“ von Botho<br />
Strauß in <strong>Wien</strong> uraufgeführt. Held John Porto tippt sich dort,<br />
natürlich liegend, seine ganz eigenen Parallelwelten zusammen,<br />
die sich vom Gros der Parallelwelten selbstredend wenig<br />
unterscheiden. In diesen sterilen Kammern versucht er dann<br />
die alltäglichen Problemchen des Zwischenmenschlichen zu<br />
lösen oder doch wenigstens zu verdrängen, was ihm so kläglich<br />
misslingt wie dem Autisten der Zungenkuss.<br />
Eilverfahren zur Welterklärung: dort Freya Genetrix (auf ein<br />
opulentes Weibchen verzichtet John Porto in seinem künstlichen<br />
Paradies naturgemäß nicht, wenn er schon ihren Namen<br />
nach antiker Dekadenz schreien lässt) und hier nun die teuren<br />
Pelzviecher, Furry Species, des Instituts für Hybridforschung.<br />
Die, die wir anschicken –<br />
Fantasy metastasiert zum ganzheitlichen Mythos.<br />
Zum guten Ton gehört ja heute, sich nicht ernst zu nehmen.<br />
Der kokett-coole Unernst wird dabei mit größter Ernsthaftigkeit<br />
nach außen getragen. Die Betäubung liegt im Spiel ohne<br />
Einsatz, in der ironischen Risikovermeidungsmaschinerie der<br />
Popkultur. Ein Spiel als Spiel, nichts weiter, auch hier kläglich.<br />
Lovefuckers impliziert eine Konventionalität des Gegenteils.<br />
Getaucht in ein Becken von Körperlichkeit um der Körperlichkeit<br />
willen ist der Lovefuck groteskes Alleinstellungsmerkmal.<br />
Was sollen da die Nachbarn sagen? Die Lovefuckers seismografieren<br />
sich mit einer putzigen Muammar al-Gaddafi-Puppe<br />
durch die scheinbar asexulle Weltpolitik. Kann der Gaddafi<br />
geliebt werden? Taugt er doch ganz offensichtlich als King of<br />
the Kings, als ultimative Popikone.<br />
Auch jetzt noch? Die Anteilnahme beziffert sich wohl numerisch:<br />
die Zahl der Toten. Das Kampfgewicht der Bunga-Bunga-<br />
Objekte. Am Ende gar die Zahl der Wangen? Überhaupt Liebe,<br />
dieses insektoide Zeugs; fühlen sich Internetbekanntschaften<br />
doch per se schäbig an. Dann lieber gleich offen praktizierte<br />
Lust statt Lüsternheit im Fiktiven.<br />
Abhilfe sollte Romantic Afternoon von Verena Billinger und<br />
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