Erträge, so sicher wie das Gold in Fort Knox. - NATURSCHECK
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abgesehen von dem Leichenabtransport,<br />
eigentlich nur<br />
symbolischer Wert beigemessen<br />
werden kann, baut<br />
die japanische Gesellschaft<br />
auf die Dienste ihrer Parias.<br />
Das Land der tausend Rituale<br />
sieht eben auch für den letzten<br />
Gang e<strong>in</strong>e aufwendige Inszenierung<br />
vor, die dar<strong>in</strong> besteht,<br />
den leblosen Körper im<br />
Beise<strong>in</strong> der Familie zum Abschied<br />
noch e<strong>in</strong>mal aufwendig<br />
<strong>in</strong> altem Glanz erstrahlen zu<br />
lassen. –<br />
Als der Cellist Daigo<br />
Kobayashi (Masahiro Motoki)<br />
nach der Auflösung se<strong>in</strong>es<br />
Tokioter Orchesters hochverschuldet<br />
und desillusioniert<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Heimatstadt Sakata<br />
im bergigen Norden Japans<br />
zurückkehrt, ahnt er auf<br />
der Suche nach e<strong>in</strong>em neuen<br />
Job nicht, daß die mysteriöse<br />
Zeitungsanzeige e<strong>in</strong>es – <strong>so</strong><br />
se<strong>in</strong>e Mutmaßung – »Reisebüros«<br />
se<strong>in</strong> Leben von Grund<br />
auf verändern wird. Wie sich<br />
bald herausstellt, verbirgt sich<br />
h<strong>in</strong>ter der om<strong>in</strong>ösen Annonce<br />
mit dem Titel »Hilfe bei der<br />
Reise« e<strong>in</strong> Bestattungs<strong>in</strong>stitut,<br />
dessen Besitzer <strong>in</strong> der Not,<br />
überhaupt e<strong>in</strong>en Mitarbeiter<br />
zu f<strong>in</strong>den, auf diese doch sehr<br />
»kreative« Umschreibung des<br />
anrüchigen Metiers zurückgreift.<br />
Natürlich zuckt auch<br />
Herr Kobayashi zunächst angewidert<br />
zusammen, als er<br />
beim Vorstellungsgespräch<br />
schließlich die Wahrheit über<br />
die vakante Stelle erfährt,<br />
doch angesichts e<strong>in</strong>es hohen<br />
Gehaltes willigt der junge<br />
Mann gegen se<strong>in</strong> anfängliches<br />
Unbehagen e<strong>in</strong> und beg<strong>in</strong>nt<br />
an der Seite des abgebrühten,<br />
aber nicht unsympathischen<br />
Chefs Shoei Sasaki (Tsutomu<br />
Yamazaki) <strong>das</strong> alte Ritual der<br />
»Leichenaufhübschung«. Aus<br />
Angst vor <strong>so</strong>zialer Ächtung<br />
und den Reaktionen se<strong>in</strong>es<br />
Umfeldes läßt der Ex-Cellist<br />
unter anderem auch se<strong>in</strong>e<br />
Ehefrau über die wahre Natur<br />
der neuen Tätigkeit im Unklaren,<br />
zettelt mit se<strong>in</strong>en Lü-<br />
gen jedoch e<strong>in</strong> anstrengendes<br />
Doppelleben an, <strong>das</strong> ihn im<br />
extremen Frontverlauf zwischen<br />
dem Lager der Toten<br />
und dem der Lebendigen zu<br />
zerreiben droht.<br />
Die nun folgenden<br />
»Dienstfahrten« des Duos<br />
führen ohne Rücksicht auf<br />
die im Denken der japanischen<br />
Zuschauer verankerten<br />
Tabus <strong>in</strong> alle möglichen Gesellschaftsschichten.<br />
Ob arm<br />
oder reich, jung oder alt, Buddhist<br />
oder Christ, alle sieht<br />
man <strong>in</strong> Takitas Film fragend<br />
daliegen. Bei alledem bleibt<br />
»Nokan« jedoch ehrlich und<br />
zeigt nicht nur die schönen,<br />
harmonischen Abschiedsrituale.<br />
Oft genug führt der<br />
Weg der schwarzen Kombilimous<strong>in</strong>e<br />
zu heillos trauernden,<br />
tief zerstrittenen Familien,<br />
zu harten, schockierenden<br />
Abschiedsszeremonien,<br />
die manchmal gar im offenen<br />
Disput oder <strong>in</strong> Handgreif-<br />
lichkeiten enden! Wie überall<br />
auf der Welt, <strong>so</strong> versäumen<br />
auch die H<strong>in</strong>terbliebenen<br />
<strong>in</strong> und um Sakata, wichtige<br />
Gedanken zu Lebzeiten<br />
des Verstorbenen zum Ausdruck<br />
zu br<strong>in</strong>gen und längst<br />
überfällige Liebesbekundungen<br />
rechtzeitig aus dem Kerker<br />
ihres verhärteten Herzens<br />
zu befreien. So drängen sich<br />
schließlich die vielen unausgesprochenen<br />
Sätze, angestauten<br />
Gefühle und <strong>das</strong> verzehrende,<br />
weil unmögliche Bedürfnis<br />
nach augenblicklicher<br />
Versöhnung, nach Vergebung,<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en viel zu kle<strong>in</strong>en Raum,<br />
um sich dann teilweise explosiv,<br />
teilweise aber auch <strong>in</strong> re<strong>in</strong>igenden<br />
Tränen der Reue ihren<br />
Weg aus dem verkrusteten<br />
Seelenpanzer zu bahnen.<br />
Begleitet werden die Momente<br />
der Erkenntnis von<br />
Joe Hisaishis wundervoller<br />
Musik. Be<strong>so</strong>nders <strong>das</strong> überaus<br />
schöne Titelthema, e<strong>in</strong>e<br />
e<strong>in</strong>fache, vom Cello getragene<br />
Melodie, wirkt <strong>in</strong> <strong>so</strong> mancher<br />
Szene <strong>wie</strong> e<strong>in</strong>e wunderbar<br />
tröstende Handreichung<br />
der Liebe. Masahiro Motokis<br />
Spiel am Cello wirkt übrigens<br />
auch deshalb <strong>so</strong> glaubwürdig,<br />
weil er, wohlmöglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Anfall von japanischem Perfektionismus,<br />
dieses Instrument<br />
extra für se<strong>in</strong>e Rolle erlernte!<br />
»Nokan« schuldet se<strong>in</strong>e<br />
Klasse nicht zuletzt dem<br />
Umstand, daß alle Darsteller<br />
sich mit dem Thema Sterben<br />
beschäftigten und hierfür beispielsweise<br />
trauernde Familien<br />
aufsuchten oder sich auch<br />
die Handgriffe der Leichenbestatter<br />
aneigneten. E<strong>in</strong>e bee<strong>in</strong>druckende<br />
Leistung, die<br />
<strong>das</strong> Ensemble selbst vor dem<br />
ernüchternden H<strong>in</strong>tergrund<br />
darbot, daß ihr Film <strong>in</strong> Japan<br />
unbeachtet bleiben könnte.<br />
»Nokan« avancierte jedoch<br />
im Gegenteil – und zu Recht<br />
– zu e<strong>in</strong>em der erfolgreichsten<br />
Streifen der japanischen Filmgeschichte!<br />
Auf der Brücke stehend<br />
und auf den alljährlichen<br />
Kampf der Lachse im Fluß<br />
blickend, entspr<strong>in</strong>gt Herrn<br />
Kobayashi die Frage, <strong>wie</strong><strong>so</strong><br />
die Tiere <strong>so</strong>lche Strapazen<br />
auf sich nehmen, nur um am<br />
Zielorte angekommen zu sterben.<br />
Die lapidare Antwort e<strong>in</strong>er<br />
zufällig vorbeilaufenden<br />
Per<strong>so</strong>n: »Weil sie nach Hause<br />
wollen!« Es s<strong>in</strong>d <strong>so</strong>lche knappen,<br />
zen-artigen Weisheiten,<br />
die <strong>in</strong> ihrer spielerischen E<strong>in</strong>fachheit<br />
verblüffen, bewegen,<br />
anregen und dabei auch den<br />
immensen Tiefgang des Streifens<br />
verdeutlichen. Zu se<strong>in</strong>er<br />
Überraschung wird der<br />
Zuschauer nach diesem Film<br />
Frohs<strong>in</strong>n und Freude <strong>in</strong> sich<br />
bemerken und dabei erkennen,<br />
daß es am Ende gar nicht<br />
um <strong>das</strong> Ende, <strong>so</strong>ndern immer<br />
nur um <strong>das</strong> wunderbare und<br />
unauslöschbare Leben geht!<br />
Autor<br />
Mehmet Yesilgöz<br />
naturscheck w<strong>in</strong>ter 2010<br />
77<br />
Kunst & Kultur