Dossier Kinder benötigen Eltern <strong>–</strong> keine Therapeuten Familiencoach Fabian Grolimund über Elternratgeber, die Frage, welche Erziehungsmethode die richtige ist <strong>–</strong> und wie ein halbvertrockneter Regenwurm seinen Sohn bekehrte. Text: Fabian Grolimund Fotos: Gabi Vogt / 13 Photo Schau mal, eine Raupe!» Ich bücke mich hinunter, um meinem Krabbeltier-begeisterten Sohn ein besonders eindrückliches Exemplar zu zeigen. Zack! Ein kleiner Stiefel zerquetscht das arme Tier. «Spritzt er wie eine Traube!» Es ist September, mein Sohn ist gerade drei geworden <strong>–</strong> und experimentiert mit Leben und Tod. «Das kannst du nicht machen! Schau, nun ist sie tot.» Interessiert schaut er hin: «Mach den wieder ganz!» Ich erkläre ihm, dass ich das nicht kann. Er hört zu. Zack! Eine Schnecke muss dran glauben. «Jetzt hör auf! Ich sage es nicht noch einmal!» Wir gehen weiter und ein Käfer gerät unter den Stiefel. Nun bin ich sauer und versuche es mit einer saftigen Drohung: «Wenn du heute noch ein Tier zertrittst, dann werde ich richtig wütend. Dann werde ich sehr schlimm schimpfen! Verstanden!?» Er wird ein wenig rot, sagt nichts mehr, nimmt meine Hand und geht stumm neben mir weiter. Ich bin hin- und hergerissen zwischen Wut und einem schlechten Gewissen <strong>–</strong> ich werde fast nie wütend, aber Tiere zu töten geht mir komplett gegen den Strich. Fünf Minuten später meint er: «Schau, Papa, ein kleines Schnecklein. Den lassen wir noch ein bisschen Der Gedanke, meine Kinder nach einem bestimmten Schema zu erziehen, ist mir unangenehm. leben.» «Was heisst denn hier noch?» «Ich mach den dann morgen tot.» Dabei grinst er mich so überlegenschelmisch an, dass ich einfach lachen muss. Nun liessen sich in dieser Situation alle möglichen Erziehungsmethoden durchspielen. Soll ich meinem Sohn eine Strafe auferlegen, wenn er eine Schnecke zertritt? Eine natürliche Konsequenz folgen lassen? (Welche wäre das in diesem Fall? Schneckenschleim vom Stiefel kratzen?) Oder soll ich mit ihm über sein «Machtbedürfnis» oder darüber, was da gerade am Werk ist, sprechen? Sollen Kinder bestraft werden oder nicht? Sind Konsequenzen ein gutes Erziehungsmittel? Sollen wir als Eltern mit unseren Kindern lange Gespräche über ihre Bedürfnisse führen und davon ausgehen, dass da immer noch etwas dahinterliegt, wenn ein Kind etwas getan hat, das wir nicht für gut befinden? Als Psychologe werde ich immer wieder gefragt, nach welchen Prinzipien ich meine Kinder erziehe und was ich von bestimmten Erziehungsmethoden halte. Auch die Frage der Fritz+Fränzi-Redaktion, was ich von einer «Erziehung ohne Strafen» denke, hat mich dazu angeregt, mir dazu Gedanken zu machen, welche Rolle Erziehungspsychologie, verschiedene Methoden und Prinzipien im Umgang mit meinen eigenen Kindern spielen. Ich halte es so: Psychologie hat einen Platz in meinem Leben als Vater oder Partner. Aber ich betrachte sie eher als eine Werkzeugkiste, die meist unbenutzt im Keller steht. Sie leitet mich nicht, und ich richte mich nicht nach ihr. Der Gedanke, meine Kinder nach einem bestimmten Schema zu erziehen, ist mir ausgesprochen unangenehm. >>> 28 Dezember <strong>2<strong>01</strong>5</strong> / Januar 2<strong>01</strong>6 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>5</strong> / Januar 2<strong>01</strong>629