10/2015 – 01/2016
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Im Dschungel<br />
der Vaterschaft<br />
Wie beeinflusst der kulturelle Hintergrund eines Mannes dessen Rolle<br />
als Vater? Welche Auswirkungen hat dies auf seine Familie? Auf der<br />
Suche nach Antworten sind zwei Anthropologen in die Wälder der Republik<br />
Kongo gereist, wo zwei Kulturen mit sehr unterschiedlichen Ansichten<br />
zur Vaterschaft Seite an Seite leben.<br />
Text: Adam Howell Boyette und Lee Gettler<br />
«Bei manchen jungen<br />
Vätern verändern sich<br />
Hormonhaushalt<br />
und Gehirnfunktion.»<br />
Lee Gettler ist Assistenzprofessor für<br />
Anthropologie an der University of Notre<br />
Dame, Indiana, USA. Er und seine Frau Laura<br />
sind stolze Eltern eines aufgeweckten<br />
15 Monate alten Kindes.<br />
E<br />
s war Mittag. Der Himmel<br />
war bedeckt. Am<br />
Tag zuvor hatte der<br />
Tropenregen den Staub<br />
weggespült, und die<br />
Luft war klar. Wir hatten gerade einige<br />
Eltern der Mbendjele zu ihren Vorstellungen<br />
zum Thema Vaterschaft<br />
befragt und hörten von einem Tanz<br />
am anderen Ende des Dorfes. Es war<br />
der Tanz von Dzengi, dem Geist des<br />
Waldes. Die Tänzer bildeten zwei<br />
konzentrische Kreise <strong>–</strong> die Männer<br />
in der Mitte und die Frauen um sie<br />
herum <strong>–</strong> und sangen mehrstimmige<br />
Harmonien, während sie dem Geist<br />
folgten, der, geschmückt mit den hellgrünen<br />
Blättern der jungen Raphiapalme,<br />
umherwirbelte.<br />
Vor uns, inmitten der Schar, die<br />
Dzengi folgte, übergab eine Frau<br />
einen schlafenden Säugling an dessen<br />
Beim Stamm der Mbendjele<br />
teilen sich Vater und Mutter<br />
die elterlichen Pflichten.<br />
Vater, um ungestört tanzen zu können.<br />
Er schlang die Trageschlinge<br />
flink um seinen Hals und setzte das<br />
Baby auf seiner Hüfte ab. Er tanzte<br />
weiter und tätschelte dem Kind sanft<br />
den Rücken im Rhythmus der Musik.<br />
«Taye munye!», rief unser einheimischer<br />
Führer, der fröhlich in der<br />
Nähe tanzte und sang. Da er unser<br />
Projekt bereits kannte, deutete er auf<br />
das, was wir gerade beobachtet hatten:<br />
«Taye munye» <strong>–</strong> «guter Vater».<br />
[Adam Boyettes Feldnotizen, 22. Juni<br />
<strong>2<strong>01</strong>5</strong>]<br />
Diese Szene ist typisch für den<br />
Stamm der Mbendjele. Als gleichberechtigte<br />
Jäger und Sammler ist es<br />
ihnen wichtig, einander in jedem<br />
Lebensbereich zu helfen. Geprägt<br />
durch diese Einstellung teilen sich<br />
Vater und Mutter die elterlichen<br />
Pflichten, von der Nahrungsbeschaffung<br />
bis hin zum Trösten des weinenden<br />
Säuglings.<br />
Ihre Nachbarn, die Bantu, die an<br />
den Rändern des Regenwaldes<br />
Landwirtschaft betreiben, haben<br />
ganz andere Vorstellungen von<br />
Vaterschaft. Bei ihnen sind die Väter<br />
die Familienoberhäupter. Sie werden<br />
gefürchtet und respektiert. Interaktionen<br />
zwischen Vater und Kind<br />
sind unüblich und beschränken sich<br />
eher auf Bestrafung als auf Fürsorge.<br />
In unserer Studie fokussieren wir<br />
auf diese beiden Gruppen. Wir<br />
untersuchen, inwiefern sich verschiedene<br />
Ansichten zur Rolle des<br />
Mannes in der Familie auf die Biologie<br />
des Vaters auswirken. Bei manchen<br />
Männern, die gerade Väter<br />
38 Dezember <strong>2<strong>01</strong>5</strong> / Januar 2<strong>01</strong>6 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi