10/2015 – 01/2016
Fritz + Fränzi
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Monatsinterview<br />
«Ein Ritual ist eine wichtige<br />
Stütze bei einer Scheidung»<br />
Immer mehr Menschen in einer Scheidung wünschen sich ein Ritual, um den Ex-Partner<br />
besser loslassen und einen neuen Lebensabschnitt befreiter beginnen zu können. Der<br />
reformierte Pfarrer Andrea Marco Bianca erklärt, warum ein solches sowohl dem Paar<br />
als auch den gemeinsamen Kindern hilft, mit der Situation umzugehen, und wie mögliche<br />
Rituale gestaltet sein können. Interview: Eveline von Arx Fotos: Salvatore Vinci / 13 Photo<br />
Ein sonniger Novembernachmittag. In<br />
der reformierten Kirche in Küsnacht bei<br />
Zürich ist es eher kühl. Pfarrer Andrea<br />
Marco Bianca trägt einen leichten Anzug<br />
ohne Krawatte. Er wirkt hellwach,<br />
spricht gerne und mit Hingabe <strong>–</strong> der<br />
Einstieg ins Thema geschieht rasch und<br />
unmittelbar.<br />
Herr Bianca, im Rahmen Ihrer<br />
Dissertation haben Sie sich viele Jahre<br />
mit Scheidungs ritualen befasst. Was<br />
sind die Haupt erkenntnisse Ihrer<br />
Forschung?<br />
Dass ein Ritual hilft, etwas auszudrücken,<br />
wozu man innerlich vielleicht<br />
gar noch nicht zu <strong>10</strong>0 Prozent<br />
be r eit ist.<br />
Zum Beispiel?<br />
Wenn man in einem Scheidungsritual<br />
dem Ex-Partner dafür dankt,<br />
was gut war in der Beziehung. Vielleicht,<br />
indem man sich einfach nur<br />
sagt: «Ich danke dir für alles, was du<br />
mir geschenkt hast» <strong>–</strong> und dann weitergeht,<br />
indem man sich gegenseitig<br />
auch vergibt, was schwierig war.<br />
Können Sie das näher erläutern?<br />
Für viele Menschen ist es nicht einfach,<br />
dass man in der heutigen individualisierten<br />
Zeit immer selber<br />
genau wissen muss, was das Richtige<br />
für einen ist, und man von allem, was<br />
man macht, sofort überzeugt sein<br />
soll. Bei einem Ritual ist das gerade<br />
nicht so ausgeprägt der Fall. Durch<br />
ein Ritual kann man in etwas <strong>–</strong> wie<br />
zum Beispiel in die Vergebung <strong>–</strong> hineinwachsen,<br />
und wenn man drin ist,<br />
gibt man sich möglichst ganz hin<br />
und geht mit.<br />
«Ein Ritual hilft<br />
auch,in etwas<br />
hineinzuwachsen,<br />
sich hinzugeben.»<br />
Wo zeigt sich das etwa?<br />
Beim Heiratsversprechen zum Beispiel.<br />
Da wird dem Brautpaar ein<br />
Satz vorgegeben: «Ja, ich will.» Und<br />
Mann und Frau sprechen ihn nach.<br />
Das ist eine Sprachhandlung, man<br />
sagt also etwas ganz bewusst, an<br />
einem besonderen Ort, selbst wenn<br />
es nicht selbst gewählte Worte sind.<br />
Das hat eine stärkere Wirkung, auch<br />
auf der spirituellen Ebene, als wenn<br />
man sich beiläufig erzählt, dass man<br />
den Partner heiraten möchte.<br />
Was bedeutet dies in Bezug auf ein<br />
Scheidungsritual?<br />
Nicht nur bei einer Hochzeit, sondern<br />
auch bei einer Scheidung kann<br />
ein Ritual mit bestimmten Sprachund<br />
Symbolhandlungen helfen, den<br />
Schritt in einen neuen Lebensabschnitt<br />
mit Klarheit und mit Kraft<br />
zu gehen; selbst wenn man, und das<br />
erleben ja viele so, gewisse Ambivalenzen<br />
in sich trägt.<br />
Wird denn die Trennung auf diese Weise<br />
auch verarbeitet?<br />
Nicht zwangsläufig. Ein Ritual kann<br />
ein Teil der Verarbeitung sein, zum<br />
Beispiel als Ergänzung zu den Ge -<br />
sprächen, die in einer Therapie oder<br />
mit vertrauten Menschen stattfinden.<br />
Wenn etwa sehr viel Wut da ist,<br />
kann es hilfreich sein, ein Scheidungsritual<br />
durchzuführen, bei dem<br />
diese Wut bewusst ausgedrückt wird,<br />
damit sie nicht zur Verbitterung<br />
wird. Indem man etwa die Gefühle<br />
zu Papier bringt und den Text dann<br />
verbrennt. Ein Scheidungsritual<br />
kann also eine hilfreiche Ergänzung<br />
zu einem therapeutischen oder beraterischen<br />
Angebot sein. Ich bin >>><br />
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