Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt, Ausgabe 11/2006
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt, Ausgabe 11/2006
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt, Ausgabe 11/2006
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Außerordentlicher Deutscher Ärztetag<br />
50<br />
Berlin<br />
Bericht vom außerordentlichen<br />
Deutschen Ärztetag <strong>2006</strong> in Berlin<br />
... wir finden uns nur zur<br />
Hälfte wieder und nicht zu<br />
50 Prozent<br />
Henrik Herrmann<br />
Es ist kurz vor 6:00 Uhr morgens, als ich das<br />
Haus verlasse. Es ist dunkel draußen, ein nasser<br />
Wind kommt mir entgegen, verwelkte Blätter<br />
fliegen durch die Luft. Eher ein düsteres Szenario.<br />
Einige Minuten später höre ich im Radio,<br />
wo es hingehen soll: Heute sei der außerordentliche<br />
Ärztetag in Berlin, hier werden die Ärzte<br />
ihre Kritikpunkte hinsichtlich der Gesundheitsreform,<br />
genannt „GKV Wettbewerbsstärkungsgesetz“,<br />
vorbringen. Es ist dabei schon erstaunlich,<br />
mit welch euphemistischen Worthülsen<br />
heutzutage Gesetzesentwürfe belegt werden.<br />
Genauso erstaunlich ist es, dass in immer kürzeren<br />
Zeitabständen außerordentliche Ärztetage<br />
notwendig sind, was ja auch das politische Umfeld<br />
kennzeichnet. Ein erster außerordentlicher<br />
Ärztetag fand 1970 statt, danach war es erst<br />
wieder 22 Jahre später notwendig gewesen, diese<br />
Zeit halbierte sich auf elf Jahre zu 2003, nun<br />
sind es nur drei Jahre dazwischen, und wenn es<br />
so weitergeht, ist es vielleicht jedes Jahr notwendig,<br />
um der Politik zu sagen, dass solche Gesetze<br />
immer weiter in die Sackgasse führen werden.<br />
Dem schließen sich auch einige Minuten<br />
später die Fab four an, gerade zu beschwörend<br />
klingt ihr „let it be“.<br />
Einige Stunden später in Berlin am Fuße des<br />
Funkturmes - der Präsident der Bundesärztekammer,<br />
Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, erinnert<br />
daran, dass der Funkturm lange als Wahrzeichen<br />
des freien Berlins Symbol für Freiheit<br />
und Demokratie war und ist. An deren Stelle<br />
trete nun Täuschung, Verschleierung und Irreführung.<br />
Der neue Reformentwurf werde entgegen<br />
allen Beteuerungen am Anfang der großen<br />
Koalition in eine zentralistisch gesteuerte Zuteilungs-<br />
und Rationierungsmedizin führen. Die<br />
Selbstverwaltung im Gesundheitswesen wird<br />
zerstört, eine staatsmedizinische Bürokratie auf-<br />
<strong>Schleswig</strong>-<strong>Holsteinisches</strong> <strong>Ärzteblatt</strong> <strong>11</strong>/<strong>2006</strong><br />
gebaut, bei der über den Gesundheitsfonds der<br />
Staat direkt in die Finanzierung eingreifen kann,<br />
der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen<br />
wird aufgehoben, die private Vollversicherung<br />
auf Dauer abgeschafft und in eine Bürgerversicherung<br />
überführt werden. Der Gemeinsame<br />
Bundesausschuss als unterstaatliche Regulierungsbehörde<br />
wird de facto als Behörde für Zuteilungsmedizin<br />
fungieren und die Verteilung<br />
der sich verringernden Ressourcen steuern. Der<br />
Arzt als freier Beruf wird zunehmend zurückgedrängt<br />
und wird die Aufgabe des Rationierungsassistenten<br />
übernehmen.<br />
Alle diese Argumente brachte unser Präsident<br />
sehr sachlich und souverän vor und rief die Politiker<br />
auf, Mut zu haben, einen Neuanfang zu<br />
wagen mit uns Ärzten und nicht gegen uns. Wir<br />
können als Ärzteschaft wirklich froh sein, einen<br />
Pathologen als Präsidenten zu haben, der feinfühlig<br />
seziert und damit die wahren Diagnosen<br />
zum Vorschein bringt, wobei zu hoffen ist, das<br />
dies nie zu spät kommt und noch zu therapeutischen<br />
richtigen Konsequenzen führen kann.<br />
Große Zustimmung erntete er von allen Delegierten<br />
des Ärztetages und der Vertreterversammlung<br />
der KBV dafür.<br />
Einen echten Kontrapunkt dazu bildeten dann<br />
die Redebeiträge der jeweiligen stellvertretenden<br />
Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition,<br />
Wolfgang Zöller von der CDU/CSU und<br />
Elke Ferner von der SPD. Wolfgang Zöller gab<br />
zu, wieder einmal übernächtigt zu sein, da er bis<br />
3:00 Uhr morgens Einzelheiten des Reformentwurfes<br />
besprechen musste. Wie wir Ärzte aus eigener<br />
leidvoller Erfahrung wissen und immer<br />
wieder neu erfahren müssen, ist Übermüdung<br />
nicht immer ein Garant für gute Arbeit. Dies<br />
sollte auch für Politiker gelten, die bis weit in<br />
die Nacht hinein tagen und dann übermüdet<br />
Entscheidungen treffen müssen. So fiel die Verteidigung<br />
des Entwurfes zur Reform auch sehr<br />
oberflächlich und platitudenhaft aus. Es werde<br />
keine Staatsmedizin geplant, sagte Wolfgang Zöller,<br />
aber ließ offen, ob dies nicht eintreten werde.<br />
Der geplante Spitzenverband Bund werde wohl<br />
weniger Aufgaben wahrnehmen, als die sieben<br />
Spitzenverbände heute, aber dennoch ist dies<br />
eine zentralistische Einrichtung. Es müsse ir-